Anti, anti, anti – für eine rassismus- und antisemitismuskritische queere Bewegung!

Text als PDF-Dokument: hier klicken.

Anti, anti, anti – für eine rassismus- und antisemitismuskritische queere Bewegung!

Berliner BDS-Anhänger_innen: Hasserfüllte Projektionen
Der Radical Queer March Berlin wurde am 27. Juli 2019 durch eine konzertierte Aktion von Antizionist_innen gestört und sabotiert. Es war erschreckend, mit welcher ideologischen Aggressivität die BDS-Anhänger_innen auf der Demo und im Vorfeld und Nachgang auf diversen Facebook-Seiten unterwegs waren. Parolen wie „Palestine from the river to the sea“, Blut-und-Boden-Rhetorik á la „the blood spilled of my [palestinian] people“ und das durchgängige Schwenken von Palästina-Fahnen wurden begleitet von unsäglichen Kommentaren wie „Israel is a fascist state that commits a slow genocide on palestinian people. The only thing missing are the gas chambers“ [1] oder den omnipräsenten Stereotype von israelischer „Apartheid“, „zionist Lobby“ und israelischen „crimes against humanity“ (übrigens ein Begriff, der für die Taten der Nazi-Deutschen geprägt wurde) [2]. Letztere Zitate stammen von Leil-Zahra Mortada, eine_r der Wortführer_innen des BDS-Blocks. Noch deutlicher im Bereich des sekundären Antisemismus bewegt sich Majed Abusalama von den „Students for Justice in Palestine“, der ebenfalls die Hetze gegen den Radical Queer March befeuerte, und an anderer Stelle von Gaza als israelischem „Konzentrationslager“ faselt [3]. Abusalama störte auch gemeinsam mit Ronnie Barkan eine Veranstaltung mit einer Shoah-Überlebenden an der Humboldt-UNiversität – Barkan, ein weiterer Unterstützer des BDS-Blocks beim Radical Queer March, wiederum schmückt sein Facebook-Profil mit einem persönlichen Gruß des brasilianischen Grafikers Carlos Latuff, der bei einem Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb des iranischen Regimes 2006 den zweiten Platz errang. Zudem wurde im BDS-Block ein PFLP-Solidaritätsplakat getragen – die PFLP hat u.a. 2014 vier Rabbiner und einen Polizisten ermordet [4].

Die internationale BDS-Bewegung: kritikloser Pakt mit antisemitischen Mördern

Die queeren Antizionist_innen bezeichnen BDS – in scharfem Kontrast zum durchgängig als Täter gezeichneten Israel – als friedliche Bewegung der Zivilgesellschaft. Doch nicht nur die Parole „from the river to the sea“ zeigt, dass es dem BDS keineswegs um eine im nationalstaatlichen Rahmen sowieso illusorische ‘friedliche Koexistenz’ geht, sondern um die komplette Zerstörung des einzig jüdischen Staates weltweit5. Bereits bei der Gründung der BDS-Bewegung waren Hamas-nahe Gruppen sowie die PFLP beteiligt, bis heute sind sie im Koordinierungsrat vertreten – mörderische Gruppen, deren tägliche Praxis die Ermordung jüdischer Zivilist_innen und im Fall der Hamas die Artikulation eines offenen Antijudaismus ist [6].
Die vom BDS vorgenommene Stilisierung Israels zu DEM westlichen Frontstaat, DEM Land des Siedlerkolonialismus, ist absurd, weil sie einen Ausschnitt der israelischen Realität – Rassismus [7] und formale militärische Überlegenheit gegenüber den palästinensischen para-staatlichen Strukturen – völlig einseitig überhöht. Alle anderen Aspekte der israelischen Geschichte und Gegenwart – die Shoah und die jahrhundertelange antisemitische Verfolgung in Europa, der antikoloniale Widerstand der israelischen Gründungsphase, die gegen die britischen Kolonialisten erzwungene illegale Einwanderung, die Aufnahme hunderttausender aus den arabischen Staaten vertriebener Jüd_innen, die rechtliche Gleichheit der nichtjüdischen arabischen Israelis etc. – werden ausgeblendet. Nur durch die Ausblendung dieser evidenten Fakten kann das verzerrte Bild des weißen, imperialistischen Israels gezeichnet werden.

Moralische Vehemenz statt Gesellschaftskritik

So artikuliert sich auch in den Reihen der Berliner BDS-Supporter eine Mischung aus einem verqueren, postmodernen Pseudo-Antirassismus und einem antiquierten, längst überwunden geglaubten Oldschool-Antiimperialismus. Traditionell zeichnet der Antiimperialismus ein unterkomplexes, manichäisches Bild des bösen Westens und der guten rebellischen Kolonisierten. Gab es früher immerhin noch eine breite sozialistische Bewegung in manchen Teilen des Trikonts, ist die von den BDS-Supportern artikulierte Fantasie eines „revolutionären Palästinas“ gerade in den heutigen Zeiten, in denen keine rebellische Bewegung der Subalternen auszumachen ist, besonders absurd und ahistorisch. Selbstverständlich werden reaktionäre Strömungen in den postkolonialen Staaten wie der Islamismus und der arabische Nationalismus von BDS gar nicht erst wahrgenommen, geschweige denn kritisiert. Eine ernsthafte Analyse des Zusammenhangs von kapitalistischer Herrschaft, staatlicher Gewalt und (postkolonialer) Ausbeutung ist bei den BDS-Anhänger_innen nicht zu finden. Ebenso ist eine Kritik der Form der Nation, die auch in ihrer befreiungsnationalistischen Variante stets die Herrschaft einer bürgerlichen Elite, Ausbeutung des Proletariats, die Ziehung von Grenzen und das Wuchern nationalistischer Mythen und Aggressionen mit sich bringt, für diese Linken nicht mehr denkbar.Stattdessen wird ohne jegliche positive linke Perspektive einem inhaltsleeren Fetisch „Palästina“ gehuldigt, das „befreit“ werden soll – wovon und wozu, bleibt unklar. Das antiimperalistische Weltbild und der in queeren Kreisen leider zunehmend verbreitete Identitätswahn („Lets celebrate our Identities“) kommen zusammen im positiven Bezug auf ein sogenanntes „unterdrücktes Volk“, das romantisiert wird. Die erneute Zerstörung einer wichtigen queeren und antipatriarchalen Initiative wird besonders drastisch und absurd, wenn sie im Namen von „Palästina“ durchgeführt wird – also einer insbesondere im Gaza-Streifen fast durchgängig homofeindlich strukturierten Gesellschaft, in der queere Menschen im Falle eines Outings mit Zwangsheirat, Folter oder Mord konfrontiert sind [8].

Wie das progagandistische Selbstbild des BDS insgesamt als friedlicher Grassroots-Bewegung, ist auch das Selbstbild der Berliner Demonstrierenden das von friedlichen, durch und durch guten Menschen – stets präsentieren sie sich als Opfer der Anderen, die lediglich aus bösem Willen die Polizei gerufen hätten. Doch ihr ach so edles Auftreten beruht auf einem jede Widersprüche ausblendenden moralischen Rigorismus, einer Wahrnehmung der Welt als strikt gut oder böse, in der man selbst nur die Rolle der Guten spielen kann. Die eigene Aggression, eine Demo mit einem berechtigten queeren Anliegen für ein völlig anderes Programm zu hijacken, zu dominieren und etwa Redebeiträge über Transfeindlichkeit mit Palästina-Parolen zu übertönen, wird ausgeblendet – ein kompletter Realitätsverlust.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass unter den BDS-Anhänger_innen, die den Radical Queer March sabotiert haben, auch einige Israelis und Menschen aus den palästinensischen Gebieten oder umliegender Staaten waren, von denen Manche sicher ihre eigenen Erfahrungen im israelisch-palästinensischen Konflikt gesammelt haben. Bei Menschen, die biographisch in den mit militärischen Mitteln geführten Konflikt involviert sind, kann aus linker Perspektive Verständnis für eine besonders kritische Rezeption der israelischen Regierungspolitik aufgebracht werden [9]. Generell gilt aber, dass es völlig absurd ist, queere Demos in Berlin mit dem Palästina-Thema zu dominieren – als ob es nicht dutzende militärische Konflikte auf der Erde gibt, die häufig deutlich mörderischer verlaufen.

Identitäre Shitstorms
Es ist jedoch keine bloße gedankliche Verirrung oder ein Zufall, dass Teile der linken und queeren Szene in einer solchen ideologischen Sackgasse festgefahren sind. Vielmehr ist die antizionistische Identätspolitik als Ausdruck einer gesellschaftlichen Krise zu deuten, in der Reflektion zunehmend durch Reflexe ersetzt wird. Sinnbild dafür ist die Form des Shitstorms in den sozialen Medien, bei dem sich die Gegenüber jeweils in die eigenen Schützengräben zurückziehen und die Pseudo-Kommunikation nur der Bestätigung des eigenen Rechthabens und der moralischen Überlegenheit dient. Utopien von einem ganz Anderen jenseits der heutigen, trostlosen Gesellschaft werden zunehmends undenkbar – Identität in der eigenen „Community“ wird das Surrogat, damit sich die Menschen nicht völlig wertlos fühlen, sich zuhause und geborgen fühlen können. Wer nichts hat, hat immer noch eine Identität. So ersetzen wie in der gesamten Gesellschaft auch in der Linken Identität (Theodor W. Adorno: „die reine Identität ist der Tod“) und Aktionismus – siehe auch die sich verbreitende Selbstbezeichnung Aktivist_in anstelle etwa von Kommunist_in oder Anarchist_in – zunehmend Analyse, Nachdenken und das Einfordern von (materiellen) Bedürfnissen. In der USA vollzieht sich dieser identitäre Prozess derzeit in der Spaltung zwischen dem nativistisch-völkisch agierenden, weißen rechten Lager und den liberalen, von Trump rassistisch angegriffenen demokratischen Abgeordneten um Ilhan Omar und Alexandria Ocasio-Cortez. Letztere positionieren sich selbst wiederum identitär-antirassistisch und antizionistisch, wenn sie etwa wie Ilhan Omar eine Pro-BDS-Resolution in den US-Kongress einbringen – ähnlich agieren auch Teile der Black Lives Matter-Bewegung mit ihrem Slogan „From Ferguson to Palestine“. So wird auch auf der linken Seite ein falscher, unreflektierter Opfermythos gepflegt, der – so unsere These – offenbar nicht wenige Marginalisierte und rassistisch Ausgegrenzte anzieht. Tatsächliche Herrschafts- und Ohnmachtserfahrungen scheinen sich hier wie im Falle der queeren Berliner BDS-Unterstützer_innen mit teils verständlicher Verbitterung über die deutsche Dominanzgesellschaft, dem Wunsch nach moralischer Überlegenheit und klaren Verhältnissen sowie einer falschen, personalisierten Analyse von Gesellschaft zu vermischen und extrem zu verhärten. Diese Mischung ist offenbar anschlussfähig für den antisemitischen Opfermythos um das schwache, wehrlose und unterdrückte, jedoch moralisch integre „Palästina“. Kein Zufall ist es wohl auch, dass die einzigen linken Organisationen neben „Berlin against Pinkwashing“ und ähnlichen BDS-nahen Strukturen, die den Palästina-Block auf dem Radical Queer March begrüßten, hierarchische K-Gruppen wie die trotzkistischen „Klasse gegen Klasse“, die „SAV – Sozialistische Alternative voran“ oder Menschen aus dem Umfeld des Jugendwiderstandes waren. Diese befremdliche Allianz zwischen queeren Antizionist_innen und homofeindlichen Mackern aus dem Antiimp-Spektrum war in Berlin schon mehrfach auf Demos zu beobachten. Die Mischung aus dauernder Opferrhetorik und aggressivem Auftreten scheint auch unabhängig von ihrem antisemitischen Inhalt autoritäre Charaktere, wie sie in den K-Gruppen, aber offenbar auch in der queeren Szene vertreten sind, anzuziehen.

Utopien anstelle von Schützengräben

Die Ereignisse um den Radical Queer March zeigen: eine materialistische Kritik des mörderischen Antisemitismus, der immer eine Fetischisierung der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Herrschaft bedeutet und daher einer der größten Feinde der Emanzipation ist, muss dringend wieder verbreitet werden. Der antizionistische Fetisch des queeren Pseudo-Antirassismus sollte jedoch nicht dazu verleiten, als Gegenreaktion in ebensolchen identitären Bahnen zu agieren. Sowenig eine Position richtig ist, nur weil sie von POC vertreten wird, so wenig sollte das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden und Antirassismus per se ad acta gelegt werden. Gerade in Zeiten einer massiven rassistischen Dynamik in Deutschland mit eskalierendem Nazi-Terror und andauernden Angriffen auf Geflüchtete und Migrant_innen gilt es, anti-identitär gegen alle Herrschaftsstrukturen zu kämpfen. Die Dynamik des zunehmenden gedanken- und diskursfeindlichen Einrichtens in ideologischen Schützengräben, gebildet anhand von identitären Kategorien, muss durchbrochen werden. Im Sinne von Queer als Nicht-Ort, als offene Kategorie gibt es dabei keinen sicheren Ort, auf den wir uns beziehen können, sondern nur eine andauernd neu zu verhandelnde Auseinandersetzung im Handgemenge, in der wir die Utopie einer befreiten Weltgesellschaft jenseits von Geschlecht, Lohnarbeit, Volk, Nation und staatlicher Herrschaft befördern.

gruppe 8. mai [berlin – hamburg – new york]
achtermai.blogsport.de

Fußnoten:
1: Vgl. https://www.facebook.com/events/2356989967878298
2: Vgl. https://www.leilzahra.com/?p=997.Zur Kritik an der rassistischen Entwendung des Begriffs Apartheid vgl. Africans for Peace: Reclaiming the word Apartheid: „For black South Africans, apartheid was more than just systematic discrimination against our people. It was a project that aimed to rob a specific race of its history, culture, dignity, and humanity. Those who apply the term “apartheid” to the Israeli-Palestinian impasse are guilty of perpetuating that same theft, by denying the unique- ness of the racism and hatred that we faced, and which we have overcome with much blood and tears. While the challenges that face Israel and her neighbor Palestine may result in one group feeling dis- criminated against by the other, it is very different from the legally-blessed racism, based on the discredited idea of white supremacy, that once reigned in my country.“ https://africansforpeace.com/reclaiming-word-apartheid/)
3: „Abusalama setzte […] die Bewohner*innen Gazas mit den Opfern der nationalsozialistischen Vernichtungspraxis gleich: „Ich würde weitergehen, als die Formulierung Ghetto, letztendlich sondern sagen [dass] es sich regelrecht um ein Konzentrationslager handelt“ http://antifaelf.blogsport.de/2017/06/29/proteste-gegen-bds-veranstaltung-in-oldenburg/)
4: Vgl. RIAS: „Mindestens eine Person trug ein Plakat mit der Aufschrift „Solidarity with Khaled Barakat“ mit sich. Barakat ist Funktionär der Terrororganisation „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP). Erst 2014 hatten zwei PFLP Mitglieder in einer Synagoge in Jerusalem vier Rabbiner und einen Polizisten ermordet, ein weiterer Rabbiner starb an den Folgen des Anschlags. Die PFLP bekannte sich zu der Tat und bezeichnete sie als Form des Widerstandes, die verstärkt werden müsse.“ https://www.facebook.com/notes/recherche-und-informationsstelle-antisemitismus-rias/israelfeindschaft-und-antisemitismus-zur-pride-week-2019-in-berlin/2389828441338830/)
5: Eine Position gegen die Zwei-Staaten-Lösung wird auch von BDS-Mitgründer Omar Barghouti immer wieder ganz offen vertreten, vgl. etwa hier: https://electronicintifada.net/content/boycotts-work-interview-omar-barghouti/8263
Barghouti spricht sich übrigens auch offen für „resistance by any means, including armed resistance“ aus: https://spme.org/anti-semitism/omar-barghouti-ucla-echoes-1930s-europe/16720/?fbclid=IwAR1jMxr1fE_Vo8oWk3B1p8tqAkhAqcpAdIkDMeoUgMghv0EySbCpWukqPiU
Warum BDS antisemitsch ist, wurde schon sehr oft belegt – vgl. etwa hier: https://engageonline.wordpress.com/2016/06/01/why-bds-is-antisemitic-david-hirsh/)
6: Vgl. IIBSA: Die antisemitische Boykottkampagne BDS: „Mit dem BDS National Committee (BNC) verfügt die BDS-Kampagne seit 2007 über eine Koordinierungsinstanz. An erster Stelle der Mitglieder des BNC wird der Council of Palestinian National and Islamic Forces gelistet. Das ist ein Zusammenschluss, dem u. a. die Terrorgruppen Hamas, der Palästinensische Islamische Jihad und die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) angehören. All diese Organisationen stehen auf der EU-Terrorliste. Auch in Deutschland traten Vertreter der BDS-Kampagne des Öfteren im Umfeld dieser terroristischen Gruppen auf. So zum Beispiel auf Jubiläums-veranstaltungen der Terrororganisation PFLP in Berlin oder auf einer europäischen Konferenz von Hamas-Anhängern in Berlin 2015“ https://iibsa.org/wp-content/uploads/2018/11/Die-antisemitische-Boykottkampagne-BDS-Eine-Handreichung_IIBSA.pdf.pdf)
7: Rassismus verstehen wir nicht als Spezifikum Israels, sondern als Basiskategorie der kapitalistischen Vergesellschaftung.
8: Siehe etwa diesen aktuellen Bericht: https://www.haaretz.com/middle-east-news/palestinians/.premium-pride-and-prejudice-the-hellish-life-of-gaza-s-lgbtq-community-1.7403501
9: Jedoch sollten auch diese für ihren anti-emanzipatorischen Begriffsapparat, der auch wiederum vor antisemitischen Stereotypen nicht halt macht, kritisiert werden, sowie für ihre mangelnde Sensibilität hinsichtlich ihres Sprechortes in einer rassistisch UND antisemitisch strukturierten Gesellschaft wie Deutschland.