Blockupy: geschichtsvergessen im Mobilisierungswahn – Ein Einwurf von der Seitenlinie

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Seit Wochen beherrscht ein Thema die radikale Linke in Deutschland: die Blockupy-Mobilisierung. Gab es in den Monaten, Jahren, zuvor kaum noch größere linke Mobilisierungserfolge, scheint jetzt endlich ein gemeinsamer Nenner gefunden, der parlamentarische und außerparlamentarische, reformistische und revolutionäre Kräfte an einem Strang ziehen lässt. Dass Blockupy die mediale Aufmerksamkeit sicher ist, beflügelt die sonst so isolierten linken Akteure und lässt sie tendenziell größenwahnsinnig werden, wie etwa die Interventionistische Linke: „Über das, was am 18. März auf den Straßen Frankfurts abgehen wird, werden wir noch Jahre sprechen. Gemeinsam werden wir Geschichte schreiben“

Dass eine Mobilisierung in dieser Größenordnung in Deutschland nur möglich ist, weil es sich gegen eine Bank richtet, wissen insgeheim alle. Auch wenn gegenüber Kritiker_innen immer wieder darauf verwiesen wird, die EZB sei keine reguläre Geschäftsbank: sie wird in der Öffentlichkeit, im fetischisierten Bewusstsein der Bürger_innen und auch in der Linken zuallererst eben als Bank verstanden. Darauf verweisen nicht zuletzt die zahlreichen Angriffe im Vorfeld auf Banken oder die Beteiligung von hessischen und thüringischen Nazis an der Mobilisierung zum Blockuyp-Event. Ausgerechnet in einer Zeit, die geprägt ist von Verschwörungstheorien über die Herrschaft des 1% und die Macht der Banken und Konzerne, die von den Montagsmahnwachen bis hin zu Pegida landauf landab durch die Straßen hallen, wird so wieder eine Bank als maßgeblicher Akteur markiert. Auch von Leuten, die es eigentlich besser wissen, und es dennoch tun – um des Mobilisierungserfolges willen. Doch das nur am Rande – im Folgenden soll auf einen Aspekt verwiesen werden, der auffälligerweise in der Blockupy-Mobilisierung vollkommen untergeht. Es handelt sich um einen blinden Fleck, der zugleich kein Zufall sein dürfte, sondern bezeichnend für die Geschichtslosigkeit und den Populismus von Blockupy ist.

Was will Blockupy?
Schauen wir uns einmal das Selbstverständnis von Blockupy an. Dort steht: „Zusammen wollen wir eine europäische Bewegung schaffen, einig in ihrer Vielfalt, die die Macht des Krisenregimes und der Austeritätspolitik überwindet und damit beginnt, Demokratie und Solidarität von unten aufzubauen.“ Blockupy sieht sich ausdrücklich als „grenzüberschreitende Bewegung“, die transnational (natürlich nicht: antinational, das wäre nicht bündnisfähig!) gegen das Austeritätsregime kooperiert. Insbesondere wird dabei immer wieder die Solidarität mit der griechischen Bevölkerung und – wenn auch mit Abstrichen – mit der Regierungspartei Syriza betont. So heißt es in einem Kommentar des Blockupy-Koordinierungskreises zur griechischen Wahl: „Eine andere, bessere Welt wird nicht per Kabinettsbeschluss eingeführt, sondern durch den Aufbau einer Demokratie von unten und über alle Grenzen hinweg. Deswegen stellen wir uns auch nicht an die Seite irgendeines Regierungsprojekts. […] Wir stehen an der Seite der solidarisch kämpfenden Menschen in Griechenland und der gesellschaftlichen Linken. Aber solange die neue Regierung deren Kämpfe in die europäischen Institutionen trägt, anstatt die Zwänge der Austerität an die eigene Bevölkerung weiterzugeben, ist sie eine Chance für uns alle.“

Zugleich wird auch die Rolle Deutschlands in den Blick genommen. So heißt es im Blockupy-Bündnis-Aufruf etwa: „Deutschland ist eine der treibenden Kräfte hinter dieser Spar- und Austeritätspolitik. Es ist gewissermaßen das Herz der Bestie und das relativ ruhige Auge des Sturms zugleich. Aber auch in Deutschland existieren Angriffe auf soziale Rechte, gibt es wachsende Prekarität und Armut. Daher gibt es für die Menschen in Deutschland viele gute Gründe sich zu wehren und aufzustehen für ein würdiges Leben“. Halten wir also fest: Blockupy zieht berechtigterweise einen direkten Zusammenhang zwischen der Austeritätspolitik der deutschen Regierung und der Not in Griechenland. Blockupy bezieht sich dabei durchgängig positiv auf die griechische Bevölkerung und insbesondere die Forderungen der griechischen Linken.

Was will Deutschland?
Die Blockupy-Mobilisierung fällt mitten in die aufgeregte deutsche Diskussion um den Umgang mit den griechischen Schulden und den „Grexit“. Ein zentraler Diskursstrang ist dabei die griechische Forderung nach Reparationen und Zahlungen für die Taten, die von den Deutschen im Zuge der nationalsozialistischen Besatzung Griechenlands begangen wurden. Alexis Tsipras versprach etwa kurz vor der Wahl in Athen: “Eine Syriza-Regierung wird mit großer Entschiedenheit fordern, dass Deutschland unbezahlte Schulden aus der Besatzungszeit zurückzahlt: Entschädigungen für Nazi-Kriegsverbrechen und die Rückzahlung des Zwangskredits. Das ist nicht nur eine Schuld, die Deutschland an Griechenland hat, sondern das ist eine unbezahlte Schuld an allen europäischen Völkern, die aufgestanden sind, um den Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg zu besiegen.” Der Widerstandskämpfer Manolis Glezos, der für Syriza im EU-Parlament sitzt, hat sich diese Frage der Reparationen geradezu zu einer Lebensaufgabe gemacht.

Von deutscher Seite sorgen solche Forderungen immer wieder für besonders aggressive Reaktionen. Aktuell schreibt etwa der Spiegel unter der Überschrift „Athen droht mit Pfändung deutschen Eigentums: Dürfen die das?“ von einer „neue[n] Eskalationsstufe im Schuldenstreit mit Athen“. Und die FAZ sekundiert: „Nun hängt alles vom neuen Justizminister Paraskevopoulos ab. Wenn er unterschreibt, droht deutschen Einrichtungen in Athen die Zwangsversteigerung.“ Die Haltung der Bundesregierung ist dabei so klar wie kaltschnäuzig: “Die Frage von Reparationen und Entschädigungszahlungen ist rechtlich und politisch abgeschlossen”, bekräftigte Regierungssprecher Steffen Seibert.“ Deutschland hat den materiellen Schlussstrich schon lange gezogen. Gerade durch den moralischen Mehrwert als Aufarbeitungsweltmeister können die Deutsche unverfroren die de facto offenen Rechnungen weglügen oder mittels der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft und des Bundespfaffen Joachim Gaucks wegversöhnen.

Als eine der wenigen linken Gruppen in Deutschland arbeitet der AK Distomo kontinuierlich zu den Fragen der Zahlungsverpflichtungen, die sich aus den deutschen Taten im Nationalsozialismus ergeben. In einer Mitteilung vom Februar 2015 schreibt der AK Distomo beispielsweise: „Deutschland hat seine Reparationsverpflichtungen nicht erfüllt, es hat die “Zwangsanleihe” nicht zurückgezahlt, die das Deutsche Reich der griechischen Staatskasse abgepresst hatte, um die Kosten der Besatzung aufzubringen und auch große Teile des geraubten Kulturguts wurden nicht zurück gegeben. Das sogenannte “Wirtschaftswunder” in der Bundesrepublik Deutschland wäre nicht möglich gewesen ohne die Stundung der Kriegsschulden im Londoner Schuldenabkommen von 1953. Spätestens seit dem 2+4 Vertrag von 1990 sind diese Schulden aber fällig. Die Zahlungsverweigerung Deutschlands ist ein klarer Bruch internationaler Verträge. Die griechische Regierung hat daher allen Grund der deutschen zu sagen: “Zahlt erstmal eure Schulden, bevor wir über unsere reden.” Es gibt eine zweite Schuld, die Deutschland bis zum heutigen Tage nicht beglichen hat und die auf keinen Fall mit den Staatsschulden Griechenlands verrechnet werden darf. Während der deutschen Besatzungszeit von 1941 bis 1944 kamen in Griechenland mehr als 30.000 Menschen allein durch Massaker zu Tode. Die Überlebenden der zahlreichen Nazi-Massaker und die Angehörigen der Ermordeten haben bis heute keine Entschädigungsleistungen von der Bundesrepublik Deutschland erhalten. Die Opfer der NS-Verbrechen haben Anspruch auf individuelle Entschädigung für den erlittenen Schaden und das Leid.“
Dazu kommen noch etwa die Opfer der durch die deutsche Politik verursachten Hungersnot, die 1941/1942 nach unterschiedlichen Schätzungen 100.000 – 450.000 Opfer gefordert hat. Die deutschen Täter_innen wurden selbstverständlich nie zur Rechenschaft gezogen.

Wo bleibt die Solidarität?

In den zahlreichen Aufrufen zu Blockupy, die wir gelesen haben, wird kein einziges Mal auf diese deutsch-griechische Geschichte und auf die Reparations- und Entschädigungsforderungen aus Griechenland Bezug genommen. Mag sein, dass sie an irgendeiner marginalen Stelle einmal erwähnt werden – festzuhalten bleibt: für die Blockupy-Mobilisierung als Ganzes spielen sie keine Rolle. Die deutsche Linke schweigt sich in diesem an sich zentralen Solidaritätsmoment aus und damit praktisch in diesem Punkt konform mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft und der Regierung, die sich ebenfalls durch eine – gelinde gesagt – Ignoranz gegenüber den berechtigten Forderungen nach Zahlungen und Rückzahlung der Schulden auszeichnet. Woher kommt diese punktuelle Ignoranz gegenüber der griechischen Bewegung, mit der man sich von Seiten Blockupys gerne so solidarisch gibt?

An diesem Punkt bleibt uns aufgrund des Fehlens expliziter Antworten von Seiten Blockupys nur die ideologiekritische Spekulation, die hoffentlich eine ebenso ideologiekritische Antwort hervorruft und damit zu einer Klärung beiträgt. Augenscheinlich ist, dass im Großteil der hiesigen Linken kein Bewusstsein für das postnazistische Fortwirken von Herrschafts- und Dominanzstrukturen und Ideologien besteht. Für die durchschnittlichen attacies, Linkspartei-Kader oder Postautonomen gehört der Nationalsozialismus einer längst vergangenen Epoche an, dessen Widergänger maximal am rechten Rand der Gesellschaft in Form der NPD oder aktuell Pegidas zu bekämpfen seien. Die Kontinuität zwischen dem Nationalsozialismus und der Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin, wie sie etwa der AK Distomo anhand ganz augenscheinlicher historischer Sachverhalte wie der Londoner Schuldenkonferenz von 1953 aufzeigt, wird ignoriert und abgeschnitten. Die heutige politische und ökonomische Dominanz Deutschlands in Europa erscheint als Zufall, zumindest werden ihre Gründe nicht benannt.
Dabei könnte es gar keine deutsche Hegemonie geben, wären die Deutschen damals materiell auch nur annähernd zur Rechenschaft gezogen worden. Stattdessen konnten sie noch die Profite der Vernichtung einfahren: „Der Nachkriegsaufschwung, die erstaunliche Regenerationsfähigkeit der westdeutschen und österreichischen Gesellschaft und die eminente Akkumulationsfähigkeit ihres Kapitals beruhten zunächst auf der Beute, die man im Zweiten Weltkrieg und im Massenmord an den Juden gemacht hatte, ebenso wie auf der Zwangs- und Sklavenarbeit, die vom Dritten Reich in diesem Zusammenhang organisiert worden war. Mit dieser Beute konnten – ganz anders als nach dem Ersten Weltkrieg – in der Währungsreform von 1948 die übriggebliebenen Schulden des Dritten Reichs gegengerechnet werden. Die deutsche Bevölkerung verlor dabei angeblich noch immer neun Zehntel ihrer Ersparnisse, der große Gewinn sprang jedoch dadurch (auch für sie) heraus, daß das industrielle Sachvermögen zum vollen Wert in die DM-Eröffnungsbilanz eingesetzt werden konnte. Und dieses Sachvermögen war durch den einzigartigen Investitionsschub des Nationalsozialismus, durch Aufrüstung und Krieg, beträchtlich gesteigert worden. […] Der Raub von Rohstoffen, Gold und Lebensmittel in kaum berechenbarem Ausmaß und der Einsatz von sechs Millionen Zwangsarbeitern, zwei Millionen Kriegsgefangenen und über einer Million KZ-Häftlingen waren die Voraussetzung dafür, daß Deutschland sich nach 1945 weiter modernisieren konnte. Vorbereitung und Durchführung des Vernichtungskriegs legten das Fundament für den Nachkriegsboom.“
Von dieser historischen Kontinuität, die bis heute weiterwest und weiter befördert wird, wollen große Teile der deutschen Linken nichts wissen. Zum Einen profitieren sie selbst als späte Erb_innen weiter von der Vernichtung, in Form des wirtschaftlichen Wohlstands und auch in Form des ideellen Mehrwerts, Teil einer stillschweigenden sekundären Volksgemeinschaft zu sein. Zum Anderen würde eine solche kritische Einsicht der Linken politisch wenig zugute kommen, solange es ihr vorrangig um die Mobilisierung großer Massen geht. Wesentlich besser macht sich da das vitalistische Bild von dynamischen und angriffsbereiten Akteuren, die sich den Herrschenden auf Augenhöhe entgegen stellen („Face the players“), wie es auch in den zahlreichen Mobilisierungsvideos zu Blockupy in Szene gesetzt wird. Diese Eigendarstellung und das Fremdbild von den „Entschlossenheit und Rebellion“ der Griech_innen verschmelzen im Imago der transnationalen aktivistischen Kämpfer_innen gegen die EZB und die Troika. Es ist daher wahrscheinlich kein Zufall, dass die derzeit eigentlich sehr präsenten, kaum zu übersehenden griechischen Reparationsforderungen keine Rolle für Blockupy spielen. Obwohl es sich geradezu aufdrängt, zumal angesichts der aktuellen medialen Debatte, diese Forderungen aufzugreifen, wird von Blockupy lieber über die Drohungen der Frankfurter Polizei lamentiert, nach Schlafplätzen für die Demonstrant_innen gebettelt oder der ausgebuchte Sonderzug von Berlin nach Frankfurt bejubelt. Die Blockupy-Mobilisierung unterwirft sich damit ganz dem Zwang des Aktivismus. Die Reparationsforderungen erscheinen als ‘Störenfriede der Erinnerung’, die die gleichmacherische Kampf-Einheit der ‘guten’ deutschen Linken mit den internationalen Genoss_innen und das Bild des kämpferischen Europas von Unten in Frage stellen würden. Müsste man sich doch dann nicht zuletzt Fragen stellen wie: Welche Großeltern oder Urgroßeltern der Demonstrierenden waren an Massakern in Griechenland beteiligt? Wie hält man es mit den Mörder_innen in der eigenen Familie? Ist das familiäre Erbe vieler Blockupy-Teilnehmer_innen vielleicht in den 1940ern in ganz Europa zusammen geraubt worden? Wieso hat in der deutschen Gesellschaft in sieben Jahrzehnten kaum jemand sich für Zahlungen gegenüber den Opfern deutscher Besatzungs-, Massaker- und Vernichtungspolitik eingesetzt? Und wieso schweigen auch heute viele Linke noch lieber in Einklang mit der Bundesregierung, anstatt sich entschieden auf die Seite der Opfer zu stellen?
So ist denn auch nur folgerichtig, wenn am Mittwoch von der Blockupy-Bühne nicht die Forderung nach Auflösung des postnazistischen deutschen Regimes erklingen wird, sondern sich Antizionist_innen wie Naomi Klein und Sarah Wagenknecht in moralisierender und geschichtsvergessener Weise über die Macht der Banken und Konzerne ereifern dürfen. Eine vertane Chance für eine andere Welt.