Category Archives: Uncategorized

Palästina-Solidarität zwischen Repression und Antisemitismus – Eine aktuelle Intervention zur Linken

In den letzten Wochen kam es zu diversen Repressionen gegen die Palästina-Solidarität: der Berliner Palästina-Kongress wurde polizeilich aufgelöst, ebenso das Solidaritäts-Camp vor dem Reichstag. Zudem wurden zwei Mädchenzentren in Berlin geschlossen aufgrund des anti-israelischen Engagements der Zentrums-Leitungen.


Kritik des selektiven Staatshandelns
Neben den selbst Betroffenen und einschlägigen Palästina-Kreisen haben sich auch weitere linke Gruppen gegen dieses Vorgehen geäußert. Insbesondere die Interventionistische Linke (Bundesgruppe, IL Berlin und IL Frankfurt) tat sich mit zahlreichen SocialMedia-Posts und Erklärungen hervor, die alle nach dem selben Muster funktionierten1. Zurecht wurde das Vorgehen als autoritär und auch rassistisch kritisiert. Zurecht, denn der selbe Staat, der hier gegen Palästina-Zusammenhänge vorgeht, legt eine solche Härte nicht an den Tag, wenn es um Antisemitismus von Rechts geht. Wurde schon einmal ein AfD-Parteitag (Auschwitz als „Fliegenschiss“ etc.) dergleichen angegangen? Wurden die Demos von Pegida, Reichsbürger_innen, Querdenker_innen (Reichstags-Stürmung etc.) in vergleichbarer Weise behandelt? Nein, denn hier sollten „Sorgen und Ängste“ des deutschen Michels ernstgenommen werden! Es liegt also ein klarer Doppelstandard vor, was das staatliche Handeln angeht. Nicht zuletzt wird dessen Vorgehen auch von einem rechten Internet-Mob begleitet, der gar nicht genug „Alle nach Gaza abschieben“ in die Tastatur hauen kann.

Auch dass ein CDU-Stadtrat, gefeiert von diversen männlichen CDU-Kollegen, feministische Mädchenarbeit unterbindet, geschieht kaum aus emanzipatorischen Absichten. Die CDU nutzt den Antisemitismus als Vorwand, um Feminismus auszubremsen, tut dies auf dem Rücken der betroffenen Mädchen. Läge der CDU am Wohl der Mädchen, wäre die Kündigung kaum fristlos erfolgt. Auch hat kein CDU-Vertreter gegen das kürzliche Treffen von CDU-Bürgermeister Wegner mit Elon Musk protestiert, der immer wieder mit kruden antisemitischen Positionen (Soros-gesteuerter „großer Austausch“ etc.) auffällt. Zudem kommen die Einsparungen durch die Einstellung der Einrichtungen der CDU in Zeiten des “Knappe Kassen”-Diskurs in Berlin sicher recht. Nicht zuletzt passt dieses Agieren auch gut zum sonstigen autoritären Auftreten der Großen Koaltion gegen die Zivilgesellschaft und die Freien Träger in Berlin. Adorno hat zurecht darauf hingewiesen, dass gegen Antisemiten auch Autorität einzusetzen sei, um sie in ihrem Wahn zu stoppen. Diese Autorität darf jedoch nicht zum blinden Selbstzweck werden. Im Fall der geschlossenen Mädchenzentren wurde die Wahl milderer Mittel von der CDU bewusst ausgeschlagen.

Kritik der selektiven Linken
Sind die Statements der IL daher angemessen? Nein, denn man sollte auch zwei Sachen auf einmal denken können, anstatt komplett einseitig „mit der Wahrheit zu lügen“. Hier daher der Hinweis auf einige blinde Flecken der IL, die bezeichnend sind für den linken Mainstream:

– Analyse des zwiespältigen Regierungshandelns zwischen Philosemitismus und Kooperation mit Antisemiten
Die IL suggeriert mit der Rede von der „Staatsräson“ und der „deutschen Vernunft“, sowohl Regierung als auch Bevölkerung stünden geschlossen hinter Israel. Für die Bevölkerung ist das sowieso falsch. Zu den wenigen einschlägigen Israel-Demos kamen meist nur Hunderte, maximal wenige Tausende, der Rest übte sich zumindest in Ignoranz. Für das Regierungshandeln aber ist es auch falsch: es gibt natürlich die Waffenlieferungen an Israel und eine weitreichende rhetorische Israelsolidarität der Polit-Elite. Es gibt jedoch parallel auch immer wieder Distanzierungen gegenüber der israelischen Regierung (auch schon vor Netanyahu), es gibt Treffen von Baerbock mit Shoah-Relativierer Abbas, es gibt wieder die Unterstützung der offenbar Hamas-durchsetzten UNRWA, und nicht zuletzt ist Deutschland weiterhin größter EU-Handelspartner des Iran. Ohne diesen Iran gäbe es jedoch weder den 7.10. noch Hamas, Hisbollah und Houthis in dieser Form. Deutschland spielt hier also eine klassische Doppelrolle, die näher analysiert werden muss. Eine bloße Darstellung Deutschlands als „Freund Israels“ ist bereits das Resultat selektiver, antisemitisch verzerrter Wahrnehmung einer von „German Guilt“ geleiteten Politik. Anstatt hier genau hinzuschauen, beteiligte sich die IL in Berlin an einer äußerst einseitigen Palästina-Demo mit Transpis „Keine Waffen für Israel“. Wenig verwunderlich, dass dort Leute teilnahmen, die Zionisten für „Satanisten“ halten und selbst eine Zwei-Staaten-Lösung boykottieren

  • Intersektionale Analyse
    Es braucht eine wirkliche intersektionale Analyse der Gemengelage. Wer als PoC von der Polizei drangsaliert wird, kann zeitgleich auch eine widerwärtige Menschenfeindin sein, deren Handeln dringend unterbunden werden muss. Wer aus den palästinensischen Gebieten geflohen ist, hasst die Hamas vielleicht besonders und verzweifelt stark an der westlichen Solidaritätsbewegung – die sich in Berliner Demos explizit mit den Houthis solidarisiert, an US-Unis sogar schon mit der Hisbollah. Umso mehr gilt dies für viele Menschen, die spezifisch vor dem Islamismus geflüchtet sind, und die mitunter die schärften Kritiker*innen von „Palästina Spricht“ und Allies sind. Ebenso kann dies für Leute gelten, die aufgrund ukrainischer/russischer Bezüge sehr kritisch auf die Kooperation von Russland, Iran und Syrien blicken. Eine bloße Gegenüberstellung von weißen Deutschen und PoC/Migrant*innen ist unterkomplex und blendet viele Betroffene aus

  • Nicht-identitärer Solidaritätsbegriff
    Es braucht ein Verständnis von Solidarität jenseits von Paternalismus, Vereinnahmung und Identität. Ferat Kocak etwa gebührt jede Solidarität gegen die Angriffe von Nazis auf ihn und seine Familie, wie auch gegen den kleinbürgerlich-rassistischen Diskurs aus dem AfD-CDU-Milieu. Dazu sollte neben verbaler Solidarität auch der praktische Schutz sowie der Angriff auf die scheiß Nazis zählen. Derselbe Ferat Kocak ist aber scharf zu kritisieren, wenn er an allen möglichen und unmöglichen Stellen (z. B. in der iranischen Exil-Bewegung) seine einseitige Palästina-Rhetorik einsetzt. Zudem gibt es Grenzen der Solidarität: klar stellen sich Linke gegen jede Abschiebung, jede Abschiebungsdrohung und jede rassistische Sonderbehandlung. Aber wieso sollten wir uns darüber hinausgehend für Menschen einsetzen, die selbst gerne am 7.10. teilgenommen hätten, wie es ein Redner des Palästina-Kongress bekundete? Die IL propagiert eine „Solidarität, in der wir über unsere Unterschiede zusammenkommen und in der wir uns gegen Repression behaupten“. Es kann aber keine unkritische Solidarität mit solchen faschistoiden Positionen geben, und auch keine „politische Auseinandersetzung“ (IL) mit Menschen, die Zivilist_innen ermorden wollen. Es ist absurd, dies sagen zu müssen, und es ist absurd, dass die IL dazu kein einziges Wort verliert

  • Solidarität auch für Antisemitismus-Opfer
    Solidarität benötigen nicht allein Opfer staatlicher Repression. Von der IL und aus dem sonstigen „linken Mainstream“ ist nur selten ein Wort der Empathie mit den Betroffenen von Antisemitismus zu vernehmen. Dabei sind viele Jüd*innen (nicht erst) seit dem 7.10. in großer Sorge und auch im Zweifel, ob sie weiterhin sicher in Deutschland leben können. Aktuell wird mit Jörg Rensmann ein Antisemitismusforscher aufgrund von Fake-News eines palästinasolidarischen Internetmobs mit Morddrohungen überzogen, vor einigen Wochen wurde Lahav Shapira brutalst zusammengeschlagen. Wo bleiben hier die engagierten Statements der IL? Was ist das Wohlergehen von Jüd*innen wert?

  • Antisemitismus ernst nehmen/Querfront zerschlagen
    Ein fast schon traditionelles linkes Problem ist es, dass Antisemitismus nicht ernst genommen wird und in der klassischen Triade Sexismus, Rassismus, Klassismus wegignoriert wird. Antisemitismus ist aber eine mörderische Ideologie, der wir Alle ins Auge schauen müssen. In Bezug auf die Palästina-Bewegung bedeutet das, zunächst einmal immer dort zu widersprechen, wo Jüd*innen offensichtlich dämonisiert, delegitimiert oder mit Doppelstandards gemessen werden. Das ist bei „From the river to the sea“ der Fall: Palästinensern wird ein Staat zugestanden, Israel nicht. Das ist bei einer Affirmation des 7.10. der Fall, wie auf dem Palästina-Kongress geschehen. Das ist bei einer Leugnung sexueller Gewalt am 7.10. der Fall, wie von den Leitungen der nun geschlossenen Mädchenzentren getan. Und das ist bei Intifada-Rufen der Fall, wie sie auf dem Palästina-Camp Alltag waren. Es braucht aber einen noch weitergehenden kritischen Blick: wieso sollte es überhaupt solch eine große Palästina-Bewegung geben, wo doch Vergleichbares für andere Kriege nicht in Sicht ist? Hier liegt schon generell ein Doppelstandard zugrunde. Zudem liegt in der Fixierung auf die „nationale Befreiung“ großes reaktionäres Potenzial, das auch praktisch eingelöst wird: auf dem Palästina-Kongress sollten Leute reden, die enge Connections zur rechtsradikalen Hamas haben. Auf dem Camp waren laut Presseberichten Hitler-Verehrer und Märtyrer-Fans dauerpräsent. Auf anderen Demos wurden die homofeindlichen Houthi-Islamisten gefeiert, auf deren Flagge „Verflucht seien die Juden“ steht. Und Mitglieder der „Jüdischen Stimme“ geben russischen und türkischen Staatsmedien Interviews, und posten Statements von rechten Querdenker*innen. Die Querdenker_innen nehmen wiederum immer wieder unwidersprochen an Palästina-Demos teil. Von der Beteiligung Grauer Wölfe ganz zu schweigen.

  • Eine linke Praxis gegen Antisemitismus
    Nicht zuletzt bräuchte es eine glaubwürdige linke Praxis gegen Antisemitismus, die über inhaltliche Kritik hinausgeht. Dazu bräuchte es eine gruppenübergreifende Verständigung und Bündnisse auch mit iranischen, kurdischen und anderen Genoss_innen, die Interesse an einem Vorgehen gegen den befreiungsnationalistischen und autoritären Rollback der Linken haben. Wieviel schöner wäre es gewesen, wenn nicht die Polizei mittels shady Tricks und Knüppeln, sondern 1000e Linke den Palästina-Kongress durch Blockaden verhindert hätten, und zeitgleich einen Kongress zu einer intersektionalen Analyse von Rassismus und Antisemitismus ausgerichtet?

Mario Miller/gruppe 8. mai [ffm/bln/ny]

https://achtermai.blackblogs.org

1 Siehe exemplarisch etwa https://interventionistische-linke.org/beitrag/deutsche-vernunft-darf-niemals-siegen

Rede bei der Kundgebung „Gegen Antisemitismus und Islamismus“ 07.01.2024 Berlin

Vielen Dank für die Einladung. Ich wurde gebeten, etwas zur Solidarität mit Israel zu sagen. Voraus schicken will ich, dass ich aus einer nicht-jüdischen, communistischen Perspektive spreche.

Ja: Warum Israel?
Ich glaube, 3 Dimensionen sind wichtig für eine linksradikale Israel-Solidarität:
1: die empathisch-historische Dimension
2: die staatskritische Dimension
3: die nicht-identitäre und bedingungslose Dimension

Kommen wir zuerst zur empathisch-historischen Perspektive. Während bis zum Zweiten Weltkrieg die zionistische Idee keine Mehrheit unter Jüdinnen_Juden finden konnte, änderte sich dies mit dem deutschen Verbrechen. Warum war das so?

Zum Einen gab es einen antisemitischen Vernichtungswahn, der von einer ganzen Volksgemeinschaft getragen wurde. Dieses Vernichtungsprojekt wurde äußerst vehement und mit extrem vielen Ressourcen angegangen. Hätten die Deutschen dieses Vorhaben zu Ende führen können, würden heute weltweit keine Jüdinnen_Juden mehr leben. So betrachtet sind alle heute lebenden Jüdinnen_Juden Shoah-Überlebende.

Zum Anderen wurden die Jüdinnen_Juden auch von der westlich-demokratischen Welt weitgehend allein gelassen. Es gab keine besonders große Bemühungen, gezielt den Vernichtungsbetrieb zu stoppen. Und viele Jüdinnen_Juden scheiterten bei ihren Fluchtversuchen an der z. T. antisemitisch inspirierten Flüchtlingsabwehr der meisten Staaten. Aus meiner Sicht ist es daher wichtig zu versuchen, sich empathisch in diese jüdische Perspektive und Erfahrung einzudenken. Das Leid nachzuvollziehen, das aus Verfolgung, Verstoßung, Vernichtung und Schutzlosigkeit resultierte, und das sich teilweise bis heute tradiert.

Die Voraussetzungen, dass sich eine solche Situation heutzutage wiederholt, sind ja leider nicht aus der Welt: der Kapitalismus wurde bekanntermaßen nicht abgeschafft. Antisemitismus existiert ebenfalls fort, wenn auch in anderen Formen. Es besteht daher die Notwendigkeit einer organisierten jüdischen Selbstverteidigung, um eine Wiederholung des Massenmordes zu verhindern. Israel ist dieses Projekt, was sich gegen den erneuten Versuch einer Auslöschung stellt.

Was bedeutet nun die staatskritische Dimension hinsichtlich der Israel-Solidarität? Das heißt: Israel ist eben auch ein stinknormaler Staat. Und Staaten sind nun einmal Apparate von autoritärer Machtausübung, von Unterwerfung und von Gewalt. In einer Welt aus Staaten konnte der Zionismus logischerweise nur in staatlicher Form realisiert werden – mit all den damit leider auch verbundenen Konsequenzen: herrschaftliche Verfasstheit, nationale Mythen, Ausschluss der „Anderen“ durch Grenzziehung, Aufstellung von Polizei und Armee zur bewaffneten Sicherung des Territoriums etc. So gesehen zeichnet sich Israel durch einen Doppelcharakter aus: einerseits gewöhnlicher, herrschaftsförmig organisierter Staat. Andererseits Ort der politischen Emanzipation der Juden_Jüdinnen und Instrument ihrer bewaffneten Selbstverteidigung.

Kommen wir zur dritten Dimension der Israel-Solidarität: nicht-identitär und bedingungslos. Klingt vielleicht martialisch. Es geht aber nicht um Nibelungentreue und Fahnenappell, im Gegenteil. Nicht-identitär bedeutet hier: Juden_Jüdinnen sind nicht die per se besseren Menschen, die IDF ist keine „coole“ Antifa-Sportgruppe, und Israel ist nicht das neue Heimatland für vaterlandslose Gesellen. Es geht bei einer solchen Solidarität auch nicht um leckeren Hummus oder um das queere Nachtleben in Tel Aviv. Ob Israel nun die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ ist und Minderheiten vorbildlich geschützt werden – oder ob es von einer rechten Regierung geführt wird, und auch dort der liberal-westliche Konsens erodiert: Antisemit_innen interessiert nicht das tatsächliche Verhalten der Juden. Das hat der 7.10. wieder drastisch gezeigt, wo mit den Kibbuzim und dem Supernova-Festival gerade der friedliebende Teil Israels attackiert wurde. Die andauernde Betonung hiesiger Linker, man distanziere sich von der rechten Regierung oder von der Besatzung, ist daher in einem solchen Kontext deplatziert. Es ist so gesehen egal, ob Netanyahu oder sonstwer das Land regiert. Seinen Status als Schutzraum vor Antisemitismus behält der Staat unabhängig von der jeweiligen Regierung. Und ebenjenem Schutzraum sollte linke Solidarität gelten. In diesem Sinne ist unsere Solidarität bedingungslos – sie stellt keine Bedingungen an das Verhalten der Israelis. Und sie erstreckt sich angesichts der mörderischen Drohung des Judenhasses auch auf die Notwendigkeit der militärischen Verteidigung.

Was bedeutet diese Haltung – empathisch und historisch, staatskritisch, nicht-identitär und bedingungslos – nun in der aktuellen Kriegslage? Es ist aus meiner Sicht unsinnig und unlogisch, zu leugnen, dass auch Israel Gewalt ausübt. Die Gewalt des Krieges muss nicht beschönigt werden. Das palästinensische Leid ist natürlich tatsächlich vorhanden. Es ist massiv und furchtbar. Juden_Jüdinnen philosemitisch zu überhöhen, als ob sie keine Verbrechen begehen könnten, ist falsch. Genau das wäre ja auch ein Doppelstandard, eine Idealisierung von Juden_Jüdinnen. Die von der IDF ausgeübte Gewalt darf aber auch nicht dämonisiert werden: es ist ebenso ein Doppelstandard, wenn das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza als Folge einer besonders grausamen israelischen Kriegsführung dargestellt wird. Das Vorgehen der IDF muss immer in Relation zur Gewalt anderer Staaten gesetzt werden. Jeder bürgerliche Staat würde nach einem solch brutalen Massaker, nach einem solchen Angriff auf den Kern seines Selbstverständnis ähnlich vorgehen – oder sogar weit härter als die IDF.

Und die Gewalt der IDF muss immer auf die besondere Situation Israels rückbezogen werden: Israel ist der einzig jüdische Staat weltweit. Israel ist so groß wie Hessen. Israel hat ein Promille der Weltbevölkerung. Israel ist umgeben von mehr oder weniger feindseligen Nachbarstaaten, zudem kritisch beäugt von der Weltöffentlichkeit. Und Israel ist darüber hinaus auch ein Staat, dessen Gründungsprozess und damit verbunden die Ziehung seiner Außengrenzen immer noch nicht abgeschlossen ist. Dieser permanente, zu großen Teilen von außen erzwungene Ausnahmezustand führt eben immer wieder zu Gewalt.

Eine Position der Äquidistanz zwischen Israel und seinen Feind_innen, wie sie etwa die Interventionistische Linke vertritt, macht daher keinen Sinn. Es ist ein weiterer Doppelstandard, dass Israel immer dann, wenn es auf einen Angriff reagiert, massenhaft kritisiert wird und ein Waffenstillstand gefordert wird. Solche Kritik zur Unzeit signalisiert letzten Endes: die Israelis sollten sich brav in ihr Schicksal fügen und sich opfern, wie es traditionell von Juden verlangt wird.

Die Solidarität mit Israel schließt die Kritik am Islamismus ein, wie es ja auch im Titel der heutigen Kundgebung heißt. Neben dem Islamismus sollten wir aber die Ablehnung Israels und die fehlende Empathie in der deutschen Mehrheitsgesellschaft stärker fokussieren. Der angeblich pro-israelischen Staatsräson steht nämlich sehr wenig tatsächliche Unterstützung für Israel entgegen. Ob im Alltag, auf der Straße, in den Betrieben und Nachbarschaften: spontane Solidarisierung war nach dem 7.10. Mangelware. Es ist genau dieses dröhnende Schweigen und das mehr oder weniger offene Bejahen des Israelhasses, das die links-islamistische Querfront so wirkmächtig macht. Die Palästina-Demonstrierenden sind deutschlandweit gesehen relativ wenige, es sind ja keine Riesendemos. Sie werden bestärkt, weil sie auf „klammheimliche Zustimmung“ Vieler hoffen können. Jenseits polizeilicher Repression erfahren sie sie kaum Widerstand aus der Mitte der Gesellschaft.

Wir müssen uns aber auch gegen eine rechte Pseudo-Solidarität mit Israel stellen, der es nur um eine weitere Gelegenheit für rassistische Hetze geht. Gegen solche reaktionären Trottel sollten wir auf eine kosmopolitisch orientierte Linke setzen, die auch Bündnisse mit iranischen und kurdischen Linken schließt.

Wir sind leider wenige, wir haben kaum gesellschaftlichen Einfluss. Lasst uns trotzdem die Kritik des Antisemitismus und Antizionismus in Deutschland so laut und offensiv wie möglich vortragen. Das ist unser wichtigster Beitrag, um Israel den Rücken freizuhalten. Denn würde Israel untergehen, wäre das nicht nur eine humanitäre Tragödie für Juden_Jüdinnen. Es würde auch bedeuten, dass die Menschheit erneut in der Barbarei versinkt.

Lange Rede, kurzer Sinn:
was wir wollen ist nicht viel – Solidarität mit Israel!

FOR LIFE, AGAINST DEATH! COSMOPOLITAN LEFT INSTEAD OF ANTI-ZIONIST CROSS-FRONT


1. From the unconditional destructiveness of Hamas to the worldwide pogrom mood


On October 7, Hamas, supported by Iran, attacked Israel. The Islamists acted with unimaginable brutality. In addition to soldiers, civilians in particular were sadistically injured, tortured and raped. These included children, the elderly, pregnant women, people with disabilities and ravers at a festival. More than 1,200 people were murdered and more than 240 people were taken hostage and abducted to the Gaza Strip. As a result of the threat and the continued bombardment with countless rockets, 200,000 Israelis became internally displaced persons.

Not since the Shoah have so many Jews been killed in one day. In Israel, the attack is also referred to as the Israeli 9/11. Author Elfriede Jelinek sees the “unconditional destructive rage of a terrorist gang ” [1] at work. Reinhard Schramm, Chairman of the Jewish Community of Thuringia, recognizes a new quality in the attack: “For the first time since the Holocaust, Jews have been murdered – and then in their own state, in such large numbers – simply because they are Jews. This barbaric act was directed against Jewish life, not against the right of the Jewish state of Israel to exist … Babies have been murdered simply because they are Jewish.” [2] Journalist Amir Tibbon (Haaretz) was lucky to survive the massacre himself. Hamas bullets struck right next to him and his one-year-old child for many hours. He states as a consequence for Israel: “First we have to survive. We can’t do that if we are dead.“ [3]

In the aftermath of October 7, there were countless anti-Semitic attacks in many countries, including Germany. Synagogues were attacked with Molotov cocktails, the Jewish hospital in Berlin with stones, and Jewish homes were marked. Many Jews feel great fear. Bini Guttmann from the World Jewish Congress describes this perspective as follows: “For us as Jews from the diaspora, Israel was and is a safe haven. A safe haven from escalating anti-Semitism in our home countries. And it is precisely there that a pogrom has now been committed. This has reopened an old trauma in many Jews. The trauma of being exposed to murder and persecution without protection. … A pogrom atmosphere prevails worldwide…. If there was a Jewish sense of security, it has disappeared“ [4]. Shoah survivors were also retraumatized [5]. Many Jews are hiding their Jewishness even more than before, no longer wear a kippah or Star of David, no longer speak Hebrew in public. “We feel like walking targets”, said Anna Segal from Kahal Adass Yisroel after the arson attack on her community [6].


2 Palestine solidarity between nationalism, ignorance and hatred of Jews

Meanwhile, large crowds repeatedly demonstrate, carrying Palestinian flags. But when does this so-called Palestine solidarity become active? Not in 2019, when the Gaza Youth Movement mobilized young people against Hamas for months until the movement was brutally crushed. Not even when, as recently as August 2023, thousands in Gaza took to the streets against electricity shortages, poverty and the fall of the Hamas regime. Not when Hamas threatens trade unionists or tortures queers. “Palestine Solidarity” is not demonstrating for the opening of the Gaza/Egypt border. Not for the reception of refugees by the surrounding countries, and not when the civilian population is taken hostage by Hamas. And this despite the fact that Hamas is shelling refugees in the south of the Gaza Strip and explicitly states, that the tunnels are only for the terrorists. The “Palestine solidarity” does not even stir when misguided rockets from Hamas or Islamic Jihad kill numerous Palestinians again and again. The only time “Palestine solidarity” demonstrates is when it is against Israel.

In which countries is the so-called Palestine solidarity movement active? The largest demonstrations have been taking place less in the Arab states in recent weeks, but mainly in Europe, for example in London with 300,000 participants. In Berlin, too, tens of thousands have already taken to the streets several times, organized either by left-wing, Palestinian nationalist or Islamist groups. In practice, there is usually a mixture of the different spectrums at the demonstrations, without any effective distancing. The participation of Jewish activists attracts a lot of public attention, but is rather marginal in absolute terms. The intifada is repeatedly celebrated in speeches and on signs. And the Shoah is relativized by talking about a “Holocaust in Gaza” or accusing Israel of genocide. On the fringes of the demonstrations, in attacks on journalists and counter-demonstrators, and of course on social media, slogans about killing Jews, anti-Semitic insults or positive references to Hitler can often be observed. Ultimately, it is this primary hatred of Jews that provides the unconscious or unspoken fuel for Palestine solidarity. Why else do other wars in the region, such as in Yemen, or the current threat of deportation of 1.7 million Afghans from Pakistan, not trigger any perceptible demonstrations? And why else do Palestinian issues that cannot be blamed on Israel not attract any attention?

This is despite the fact that, according to a survey, 70% of people in Gaza do not want to be governed by Hamas [7]. Although Palestinian human rights activists such as Bassem Eid demand: “The Palestinian people of Gaza deserve to be liberated from Hamas. If Israel ends the unjust rule of the terror gang, it will be doing my brothers and sisters in Gaza a great favor. … Palestinians like me and my neighbors want peace; Hamas does not.“ [8] US feminist Seyla Benhabib paints a similar perspective of Palestinian emancipation, aiming first at liberation from Hamas: “October 7, 2023 … must be a turning point for the Palestinian struggle. The Palestinian people must free themselves from the scourge of Hamas. The acts of violence … show that the Islamic jihadist ideology, which revels in the pornography of violence, has taken over the movement. … The Palestinian people must fight against this destructive ideology that is now taking over their movement.“[9]

3 The left between cross-front and death cult

The joint marches by leftists, Palestinian nationalists and Islamists are therefore by no means an emancipatory movement. And “decolonization” promoted by Hamas, which is limited to the murder of babies and peaceful dancers, is not decolonization. On the contrary, such “decolonization” is a deeply violent Islamist land grab.

It’s terrible to see how leftists indulge in pure misanthropy and relativize or even deliberately celebrate the massacre of 7 October. Certainly no leftist would approve of a massacre at the leftist Fusion festival in Germany. However, the humanitarian taboo of indiscriminately murdering civilians no longer applies to some on the left as soon as Jews are involved. These leftists do not improve the lives of Palestinians one iota. Nor do they improve the lives of Palestinian migrants in Germany. For decades, they have been scandalously subjected to work bans and harassment under residence law and kept in poverty [10]. A mass campaign for unconditional naturalization and legal and material equality would certainly help those affected by this racist exclusion more than the symbolic waving of kuffiyahs in left-wing pubs.

The left-wing pact with religious freaks and anti-Jewish nationalists is a betrayal of the idea of a better world. It is another variant of a cross-front between the left and the right, as we have just experienced with the Querdenker movement (Corona-Protests) and around the founding of Sarah Wagenknecht’s party. In view of Hamas’ misogyny and hatred of emancipation, in view of the massacre of Israeli kibbutzniks and peace activists, in view of the mass executions of leftists after the Iranian revolution in 1979, the left’s chumminess with Islamists is also an identification with the aggressor. After all, Hamas would, without batting an eyelid, point their Kalashnikovs at all the Leninists, feminists and anti-racists shouting “from the river to the sea” in Berlin. We see a kind of left-wing death wish here, which we understand as an effect of the numerous crises – pandemic, wars, climate, etc. – of recent years. The ongoing multi-crisis is increasingly making a good life impossible, even in the capitalist metropolises. It makes the end of the world rather than the end of capitalism seem more conceivable. Parallel to the general deterioration in living conditions, the left is also increasingly moving away from the celebration of life, humanity and utopia – in favor of celebrating patriarchal and authoritarian conditions between Stalinism, proximity to Putin and Hamas alliances.

4. For an empathic-materialist left!

We want to oppose such a cult of death. To this end, we would like to see a combination of empathic access to those affected and historical-materialist criticism. In other words, we must not harden ourselves against suffering on an emotional level, we must look at the horror and listen to those affected. Even if the various victim groups are in (warlike) conflict with each other. However, we should not derive any identification from empathy: Jews are not the better people per se, Israel is not “your team” and the IDF is not an antifa sports team

Even looking into the sad eyes of children does not automatically bring insight. Such a basic attitude also means taking historical experiences seriously. Specifically: understanding the Shoah as an unparalleled, unprecedented mass murder that unmistakably reveals the destructive power of anti-Semitism. With all the consequences for German society, and of course for Jews worldwide. But it also means recognizing the interdependence of racism and anti-Semitism. As a rule, racism functions as an ideology of devaluation, of stepping down, and anti-Semitism as a conformist rebellion against “those at the top”, as a delusion of an all-controlling world conspiracy. This symbiosis not only manifested itself in the nationalist war of extermination of National Socialism, but continues to this day. For example, in the conspiratorial whispers of the “Great Exchange”, according to which a global elite would control mass migration.

In relation to Israel, such an empathic-materialistic attitude means taking the experience of the Shoah seriously, that an organized Jewish armament is needed. So that what happened once, namely the mass murder of the defenceless, does not happen again. Israel is this project of self-defense against the renewed attempt of a extermination. And Israel is at the same time a normal state, with all the negative consequences of domination, exploitation and oppression. Whether Israel is the “only democracy in the Middle East”, whether queers have a safe space in Tel Aviv, whether minorities are protected in an exemplary manner – or whether Israel is led by a right-wing government and the liberal-Western consensus is eroding: Anti-Semites are not interested in the actual behavior of Jews. This was drastically demonstrated again on October 7, when the part of Israel that is oriented towards dialog was attacked. The constant emphasis by left-wingers on distancing themselves from the right-wing government or the occupation is therefore misplaced. The state retains its status as a safe haven from anti-Semitism regardless of the government. And it is precisely this protected space that left-wing solidarity should apply to. Without distancing itself in the wrong place.

Adopting a position of equidistance between Israel and its enemies, as advocated by the Interventionist Left (IL), for example, makes just as little sense. It is a clear double standard that Israel is always criticized precisely when it reacts to an attack. Such criticism at the wrong time ultimately signals that Israelis should resign themselves to their fate and sacrifice themselves dutifully, as Jews are expected to do. It is just as double standard when the suffering of the civilian population in Gaza is presented without further contextualization as a consequence of particularly cruel Israeli warfare. The suffering of the civilians is of course real, it is massive and brutal.

However, every state would act similarly as Israel in such a war – or even far more severely. As long as Israel is organized as a state, it will unfortunately commit similar crimes to other comparable states. The seemingly humanistic demand for a ceasefire on “both sides”, which is widespread in the IL spectrum as well as among Christian pacifists, therefore strengthens anti-Israeli resentment because it does not categorize the actions of the IDF materialistically. The warlike violence of the bourgeois state is ultimately perceived as specific to Israel, unconsciously addressing the motif of the cruel or vengeful Jew.

A critique that combines empathy and materialism should also start from a universalist position that understands Islamism not as a cultural or religious phenomenon, but politically: as a right-wing movement for crisis resolution within the framework of capitalism. And as an important faction of a reactionary international that extends from Iran via Yemen and Hamas and Syria to Russia. For this reactionary front, Israel, as the only Jewish state in the world, is a thorn in the flesh. In addition to Islamism, we should also focus on the rejection of Israel and the lack of empathy for the Jewish perspective in the German majority society. The supposedly pro-Israeli reason of state is matched by very little actual support for Israel in everyday life, on the street, in companies and in the media. Especially if we compare this to the so-called welcome culture for refugees in 2015 or the solidarity in Ukraine in the first weeks of the Russian attack, where many Germans spontaneously and “from below” got involved in self-organized grassroots movements. It is the majority silence, looking away and more or less open affirmation of the hatred of Israel by many Germans that makes the left-wing Islamist cross-front so powerful. The relatively few demonstrators across Germany are emboldened and radicalized because they can hope for “secret approval” and hardly experience any social resistance beyond police repression.

Right-wing misanthropes who want to intensify the alleged “clash of civilizations” do nothing to combat anti-Semitism. They point to the “anti-Semitism of others” in order to exonerate themselves – personified in the figure of Aiwanger, who actually had no qualms about externalizing hatred of Jews towards refugees. The right-wingers even reinforce the Israeli threat situation when they call for Islamists to be deported to Israel’s neighboring countries. Instead of pandering to such conservative positions, as some former leftists did in the 00s, we should seek alliances with parts of the Kurdish and Iranian left and with all those who have fled from Islamists. Here is an understanding of why the terror of Hamas as the extended arm of Iran is a threat to any emancipatory aspirations. The very Iran that continues to be an important trading partner of the officially oh-so-Israel-solidary Germany.

In this sense, we would like to see a left that …
… fights domination, but does not glorify every atrocity committed by the supposedly or actually oppressed

… criticizes the state, but does not confuse an Islamist-apocalyptic state of emergency with revolutionary rioting

… strives for liberation, but does not celebrate nationalism as a means of overcoming capitalism

… not only locates anti-Semitism on the right, but also recognizes unreflected anti-Zionism and perfidious hatred of Jews in its own environment

… preserves humanity, even if real existing humans gives little reason to do so

… does not allow itself to be made stupid by the power of others or by its own powerlessness.

Such a cosmopolitan left is urgently needed in the fight against the global rise of fascism.

5 What can we do?

Of course, it is advisable to repeatedly educate people with facts, facts, facts in the daily news business, in the social media and at demonstrations: against inflammatory fake news (“child murderer Israel”) and against the current delegitimization of the Jewish state. In the long term, however, it would be more sustainable to popularize the described, fundamentally supportive attitude towards the dual character of Israeli statehood. And thus also shift the focus away from an ongoing military-strategic discussion about acts of war X or Y in the Middle East – towards a critique of anti-Zionism in Germany. A difficult task. The scattered, intelligent forces on the left have allowed themselves to be pushed far too far onto the defensive in the last decade. Now, however, we again need the well-known criticism in the melee, which can provide enlightenment beyond dogmas.

With this in mind, we would like to call on people to network, to join forces and to go on the offensive. As the relevant forces are currently weak, we should also use guerrilla tactics: be confrontational in order to cause a stir. Use established media for our own purposes. Make small pinpricks that can promote awareness. Be it educational agitation on social media, our own rallies, slogans in public spaces or targeted, critical provocations at the Palestine demos. But also engaging in discussions, providing facts and explaining the background where people are not completely blinded. Solidarity actions for the hostages in the Gaza Strip, rallies in front of synagogues (where desired) and creative attacks on anti-Semites of all stripes are further options for action.

So that one day we can “lie on the water of the Dead Sea and do nothing” with our comrades! Until then, unfortunately, a lot of water will have to flow down the Jordan.

gruppe 8. mai [neukölln]

achtermai.blackblogs.org
gruppe8.mai@systemli.org



Footnotes:
1 https://www.elfriedejelinek.com/israel-hamas/
2 https://www.nd-aktuell.de/artikel/1177365.reinhard-schramm-mache-mir-grosse-sorgen-um-die-sicherheit-des-juedischen-lebens.html
3 https://twitter.com/amirtibon/status/1721764689053467110
4 https://noodnik.at/2023/11/12/wenn-es-ein-judisches-sicherheitsgefuhl-gab-dann-ist-es-nun-verschwunden/
5 https://www.juedische-allgemeine.de/unsere-woche/amcha-krieg-gegen-israel-fuehrt-zu-neuer-traumatisierung/
6 https://taz.de/Versuchter-Anschlag-auf-Synagoge/!5963814/
7 https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/polls-show-majority-gazans-were-against-breaking-ceasefire-hamas-and-hezbollah
8 https://www.newsweek.com/im-palestinian-west-bank-hamas-alone-responsible-any-bloodshed-gaza-opinion-1835360
9 https://medium.com/amor-mundi/an-open-letter-to-my-friends-who-signed-philosophy-for-palestine-0440ebd665d8
10 https://taz.de/Debatte-um-Berliner-Sonnenallee/!5965454/

Für das Leben, gegen den Tod! Kosmopolitische Linke statt antizionistische Querfront

1. Von der bedingungslosen Zerstörungswut der Hamas zur weltweiten Pogromstimmung

Am 7. Oktober griff die Hamas, unterstützt durch den Iran, Israel an. Die Islamist_innen gingen mit unvorstellbarer Brutalität vor. Neben Soldat_innen wurden v.a. Zivilist_innen auf sadistische Weise verletzt, gefoltert und vergewaltigt. Darunter befanden sich Kinder, Ältere, Schwangere, Menschen mit Behinderungen, Raver_innen auf einem Festival. Mehr als 1.4000 Menschen wurden ermordet, zudem mehr als 240 Menschen als Geiseln genommen und in den Gaza-Streifen verschleppt. Infolge der Bedrohungslage und dem weiter anhaltenden Beschuss mit zahllosen Raketen wurden 200.000 Israelis zu Binnenflüchtlingen.

Seit der Shoah wurden nicht mehr so viele Jüd_innen an einem Tag umgebracht. In Israel wird der Angriff auch als israelisches 9/11 bezeichnet. Die Autorin Elfriede Jelinek sieht die „bedingungslose Zerstörungswut einer Terrorbande“1 am Werk. Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, erkennt eine neue Qualität in dem Angriff: „Erstmalig seit dem Holocaust sind Juden – und dann auch noch in ihrem eigenen Staat, in einer so großen Zahl – ermordet worden, einfach nur, weil sie Juden sind. Diese barbarische Tat hat sich gegen jüdisches Leben gerichtet, nicht gegen das Existenzrecht des jüdischen Staates Israel … Es sind Babys ermordet worden, einfach nur, weil sie als jüdische Babys geboren wurden.“2 Der Journalist Amir Tibbon (Haaretz) überlebte selbst mit viel Glück das Massaker. Kugeln der Hamas schlugen über lange Stunden unmittelbar neben ihm und seinem einjährigen Kind ein. Er benennt als Konsequenz für Israel: „Zuerst müssen wir überleben. Das können wir nicht, wenn wir tot sind.“3

In der Folge des 7.10. kam es zu zahllosen antisemitischen Angriffen in vielen Ländern, so auch in Deutschland. Synagogen wurden mit Molotow-Cocktails angegriffen, das Jüdische Krankenhaus Berlin mit Steinen, Wohnungen von Juden wurden markiert. Viele Jüd_innen empfinden große Angst. Bini Guttmann vom Jüdischen Weltkongress beschreibt diese Perspektive so: „Für uns als Juden:Jüdinnen aus der Diaspora war und ist Israel ein Schutzraum. Ein sicherer Hafen vor eskalierendem Antisemitismus in unseren Heimatländern. Und genau dort ist nun ein Pogrom verübt worden. Das hat in vielen Juden:Jüdinnen ein altes Trauma neu aufgerissen. Das Trauma, Mord und Verfolgung ungeschützt ausgesetzt zu sein. … Weltweit herrscht Pogromstimmung.… Wenn es ein jüdisches Sicherheitsgefühl gab, dann ist es verschwunden4. Auch Shoah-Überlebende wurden retraumatisiert5. Viele Jüd_innen verstecken noch mehr als vorher ihr Judentum, tragen keine Kippa oder Davidsterne, sprechen kein Hebräisch mehr in der Öffentlichkeit. „Wir fühlen uns als wandelnde Zielscheiben“, formulierte Anna Segal von Kahal Adass Jisroel nach dem Brandanschlag auf ihre Gemeinde6.

2. Palästina-Solidarität zwischen Nationalismus, Ignoranz und Judenhass

Unterdessen demonstrieren wiederholt große Massen, ausgerüstet mit palästinensischen Flaggen. Doch wann wird diese sogenannten Palästina-Solidarität aktiv? Nicht etwa 2019, als das Gaza Youth Movement monatelang Jugendliche gegen die Hamas mobilisierte, bis diese Bewegung brutal niedergeschlagen wurde. Auch nicht etwa wenn, wie erst im August 2023, Tausende in Gaza gegen Stromknappheit, Armut und den Sturz des Hamas-Regimes auf die Straße gehen. Nicht wenn die Hamas Gewerkschafter_innen bedroht oder Queers foltert. Nicht für die Öffnung der Grenze Gaza/Ägypten demonstriert die „Palästina-Solidarität“. Nicht für die Aufnahme der Geflüchteten durch die umliegenden Länder, und nicht wenn die Zivilbevölkerung durch die Hamas in Geiselhaft genommen wird. Und das obwohl die Hamas Flüchtende in den Süden des Gaza-Streifens beschießt und explizit klarstellt: die Tunnel sind nur für die Terrorist_innen. Die „Palästina-Solidarität“ regt sich auch nicht, wenn fehlgeleitete Raketen der Hamas oder des Islamischen Jihad wieder und wieder zahlreiche Palästinenser_innen töten. Die „Palästina-Solidarität“ demonstriert einzig und allein dann, wenn es gegen Israel geht.

In welchen Ländern wird nun die sogenannte Palästina-Solidaritätsbewegung aktiv? Die größten Demos für Palästina finden in den letzten Wochen weniger in den arabischen Staaten statt, sondern vor Allem in Europa, etwa in London mit 300.000 Teilnehmenden. Auch in Berlin gingen bereits mehrfach Zehntausende auf die Straße, organisiert entweder von Linken, palästina-nationalistischen oder islamistischen Gruppen. In der Praxis findet auf den Demos meist eine Vermengung der verschiedenen Spektren statt, ohne jede wirksame Distanzierung. Öffentlich viel beachtet, in absoluten Zahlen eher marginal ist die Beteiligung jüdischer Aktivist_innen. In Reden und auf Schildern wird immer wieder die Intifada gefeiert. Und die Shoah relativiert, indem von einem „Holocaust in Gaza“ die Rede ist oder Israel eines Genozids angeklagt wird. Am Rande der Demos, in Angriffen auf Journalist_innen und Gegendemonstrant_innen, und natürlich auf SocialMedia, sind nicht selten auch Parolen über das Töten von Jüd_innen, antisemitische Beschimpfungen oder positive Bezüge auf Hitler zu beobachten. Dieser primäre Judenhass ist es letzten Endes auch, der den unbewussten bzw. unausgesprochenen Treibstoff für die Palästina-Solidarität liefert. Warum sonst lösen andere Kriege in der Region, wie etwa im Jemen, oder auch die aktuell drohende Abschiebung von 1,7 Millionen Afghan_innen aus Pakistan, keine wahrnehmbaren Demos aus? Und warum sonst locken palästinensische Anliegen, bei denen nicht Israel beschuldigt werden kann, keinen Hund hinter dem Ofen hervor?

Und das, obwohl laut einer Umfrage 70% der Menschen in Gaza nicht von der Hamas regiert werden wollen7. Obwohl palästinensische Menschenrechtsaktivist_innen wie Bassem Eid fordern: „Das palästinensische Volk von Gaza verdient die Befreiung von der Hamas. Wenn Israel die ungerechte Herrschaft der Terrorbande beendet, wird es meinen Brüdern und Schwestern in Gaza einen großen Gefallen tun. … Palästinenser wie ich und meine Nachbarn wollen Frieden; die Hamas will ihn nicht.“8 Eine ähnliche Perspektive von einer palästinensischen Emanzipation, die zuerst auf die Befreiung von der Hamas abzielt, zeichnet die US-Feministin Seyla Benhabib: „Der 7. Oktober 2023 … muss ein Wendepunkt für den palästinensischen Kampf sein. Das palästinensische Volk muss sich von der Geißel der Hamas befreien. Die Gewalttaten … zeigen, dass die islamische Dschihad-Ideologie, die in der Pornographie der Gewalt schwelgt, die Bewegung übernommen hat. … Das palästinensische Volk muss gegen diese zerstörerische Ideologie ankämpfen, die nun seine Bewegung übernimmt.“9

3. Linke zwischen Querfront und Todessehnsucht

Die gemeinsamen Aufmärsche von Linken, Palästina-Nationalist_innen und Islamist_innen sind also keinesfalls eine emanzipatorische Bewegung. Und eine von der Hamas vorangetriebene „Dekolonialisierung“, die sich im Morden von Babies und friedlichen Tanzenden erschöpft, ist keine Dekolonialisierung. Eine solche „Dekolonialisierung“ ist im Gegenteil eine zutiefst gewaltförmige islamistische Landnahme. Es ist furchtbar mit anzusehen, wie sich Linke in purem Menschenhass ergehen und das Massaker vom 7.10. relativieren oder sogar bewusst abfeiern. Sicher würde kein_e Linke ein Massaker auf dem Fusion-Festival bejahen. Das humanitäre Tabu, wahllos Zivilist_innen zu ermorden, greift jedoch für einen Teil der Linken nicht mehr, sobald es sich um Juden handelt.

Diese Linken verbessern das Leben der Palästinenser_innen um keinen Deut. Im Übrigen auch nicht das Leben der palästinensischen Migrant_innen in Deutschland. Jene werden skandalöserweise seit Jahrzehnten mit Arbeitsverboten und aufenthaltsrechtlichen Schikanen belegt und in Armut gehalten10. Eine massenhafte Kampagne für eine bedingungslose Einbürgerung, rechtliche und materielle Gleichstellung würde den Betroffenen dieser rassistischen Ausgrenzung sicher mehr helfen als das symbolische Schwenken von Kuffiyahs in linken Kneipen.

Der linke Pakt mit religiösen Freaks und judenfeindlichen Nationalist_innen ist ein Verrat an der Idee einer besseren Welt. Er ist eine weitere Variante einer Querfront von Linken und Rechten, wie wir sie gerade erst mit der Querdenker-Bewegung und rund um Sarah Wagenknechts Parteigründung erlebt haben. Angesichts der Misogynie und des Hasses der Hamas auf Emanzipation, angesichts der massakrierten israelische Kibbutzniks und Friedensbewegten, angesichts der Massenhinrichtungen von Linken nach der iranischen Revolution 1979 ist die linke Kumpanei mit Islamist_innen auch eine Identifikation mit dem Aggressor. Schließlich würde die Hamas, ohne mit der Wimper zu zuckern, ihre Kalashnikows auf all die Leninist_innen, Feminist_innen und Antirassist_innen richten, die in Berlin „from the river to the sea“ grölen. Wir sehen hier eine Art von linker Todessehnsucht, die wir als Effekt der zahlreichen Krisen – Pandemie, Kriege, Klima etc. – der letzten Jahre verstehen. Die anhaltende Multi-Krise verunmöglicht zunehmend auch in den kapitalistischen Metropolen ein gutes Leben. Sie lässt eher ein Ende der Welt als ein Ende des Kapitalismus vorstellbar erscheinen. Parallel zur allgemeinen Verschlechterung der Lebensbedingungen rücken auch Linke immer mehr von der Feier des Lebens, von Humanität und Utopie ab – zugunsten des Feierns patriarchaler und autoritärer Zustände zwischen Stalinismus, Putin-Nähe und Hamas-Allianzen.

4. Für eine empathisch-materialistische Linke!

Wir wollen uns gegen solchen Todeskult stellen. Dazu wünschen wir uns eine Verknüpfung von empathischem Zugang zu Betroffenen sowie historisch-materialistischer Kritik. Soll heißen: wir dürfen uns auf einer emotionalen Ebene nicht abhärten gegen das Leiden, müssen den Blick auf das Grauen richten und den Betroffenen zuhören. Auch wenn die verschiedenen Opfergruppen sich im (kriegerischen) Widerspruch gegenüberstehen. Aus der Empathie sollten wir jedoch keine Identifizierung ableiten: Juden sind nicht die per se besseren Menschen, Israel ist nicht „dein Team“ und die IDF keine Antifa-Sportgruppe! Auch der Blick in traurige Kinderaugen bringt nicht automatisch Erkenntnis. Eine solche Grundhaltung bedeutet auch, historische Erfahrungen ernst zu nehmen. Konkret: die Shoah als den bisher unvergleichlichen, nie dagewesenen Massenmord verstehen, der die Vernichtungskraft des Antisemitismus unmissverständlich offenlegt. Mit all den Folgen für die deutsche Gesellschaft, und natürlich für Jüd_innen weltweit. Heißt aber auch: Rassismus und Antisemitismus in ihrer gegenseitigen Verwobenheit erkennen. Rassismus funktioniert dabei in der Regel als Ideologie der Abwertung, des Nach-Unten-Tretens, und Antisemitismus als konformistische Rebellion gegen „die da Oben“, als Wahn von einer alles kontrollierenden Weltverschwörung. Diese Symbiose zeigte sich nicht nur im völkischen Vernichtungskrieg des Nationalsozialismus, sondern dauert bis heute fort. Etwa in dem verschwörerischen Raunen vom „Großen Austausch“, wonach eine globale Elite eine Massenmigration steuern würde.

In Bezug auf Israel bedeutet eine solche empathisch-materialistische Grundhaltung: die Erfahrung der Shoah ernst nehmen, dass es einer organisierten jüdischen Bewaffnung bedarf. Damit das, was einmal geschehen ist, nämlich der volksgemeinschaftliche Massenmord an Schutzlosen, nicht wieder geschieht. Israel ist dieses Projekt der Selbstverteidigung gegen den Versuch einer erneuten Auslöschung. Und Israel ist eben zugleich ein stinknormaler Staat, mit all den negativen Folgen von Herrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung. Ob Israel die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ ist, ob Queers in Tel Aviv einen SaferSpace haben, ob Minderheiten vorbildlich geschützt werden – oder ob Israel von einer rechten Regierung geführt wird, und der liberal-westliche Konsens erodiert: Antisemit_innen interessiert nicht das tatsächliche Verhalten der Juden. Das hat der 7.10. wieder drastisch gezeigt, wo gerade der auf Dialog orientierte Teil Israels attackiert wurde. Die andauernde Betonung hiesiger Linker, man distanziere sich von der rechten Regierung oder von der Besatzung, ist daher deplatziert. Seinen Status als Schutzraum vor Antisemitismus behält der Staat nämlich unabhängig von der Regierung. Und ebenjenem Schutzraum sollte linke Solidarität gelten. Ganz ohne Distanzierung an der falschen Stelle.

Eine Position der Äquidistanz einzunehmen zwischen Israel und seinen Feind_innen, wie sie etwa von der Interventionistischen Linken (IL) vertreten wird, macht ebensowenig Sinn. Es ist ein klarer Doppelstandard, dass Israel immer genau dann, wenn es auf einen Angriff reagiert, kritisiert wird. Solche Kritik zur Unzeit signalisiert letzten Endes: die Israelis sollten sich in ihr Schicksal fügen und sich brav opfern, wie es eben von Juden verlangt wird. Ebenso Doppelstandard ist es, wenn das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza ohne weitere Kontextualisierung als eine Folge besonders grausamer israelischer Kriegsführung dargestellt wird. Das Leid der Zivilist_innen ist natürlich tatsächlich vorhanden, es ist massiv und furchtbar. Jedoch würde jeder Staat in einem solchen Krieg ähnlich vorgehen – oder sogar weit härter. Solange Israel staatlich organisiert ist, wird es leider auch ähnliche Verbrechen begehen wie andere vergleichbare Staaten. Die im IL-Spektrum wie unter christlichen Pazifist_innen verbreitete, scheinbar humanistische Forderung nach einem Waffenstillstand „beider Seiten“ stärkt daher ein anti-israelisches Ressentiment, weil sie das Agieren der IDF nicht materialistisch einordnet. Die kriegerische Gewalt des bürgerlichen Staates wird letzten Endes als israelisches Spezifikum wahrgenommen, unbewusst wird damit auch das Motiv des grausamen oder rachsüchtigen Juden angesprochen.

Eine Kritik, die Empathie und Materialismus verbindet, sollte auch von einer universalistischen Position ausgehen, die Islamismus nicht als kulturelles oder religiöses Phänomen begreift, sondern politisch: als rechte Bewegung zur Krisenlösung im Rahmen des Kapitalismus. Und als wichtige Fraktion einer reaktionären Internationalen, die von Iran über Jemen und Hamas und Syrien bis Russland reicht. Für diese reaktionäre Front ist Israel als der einzig jüdische Staat weltweit ein Stachel im Fleisch. Neben dem Islamismus sollten wir auch die Ablehnung Israels und die fehlende Empathie für das jüdische Projekt in der deutschen Mehrheitsgesellschaft in den Fokus rücken. Der angeblich pro-israelischen Staatsräson steht nämlich sehr wenig tatsächliche Unterstützung für Israel im Alltag, auf der Straße, in den Betrieben und Nachbarschaften, entgegen. Gerade wenn wir die Willkommenskultur 2015 oder die Ukraine-Solidarität in den ersten Wochen des russischen Angriffs zum Vergleich heranziehen, wo sich viele Deutsche spontan und „von unten“ in selbstorganisierten Basisbewegungen einbrachten. Erst das mehrheitliche Schweigen, Wegschauen und mehr oder weniger offene Bejahen des Israelhasses vieler Deutscher macht die links-islamistische Querfront so wirkmächtig. Die deutschlandweit gesehen relativ wenigen Demonstrierenden werden bestärkt und radikalisiert, weil sie auf „klammheimliche Zustimmung“ hoffen können und jenseits polizeilicher Repression kaum gesellschaftlichen Widerstand erfahren.

Rechte Menschenfeind_innen, die eine Verschärfung des angeblichen „Kampfes der Kulturen“ forcieren wollen, tragen kein Stück zur Antisemitismusbekämpfung bei. Sie zeigen auf den „Antisemitismus der Anderen“, um sich selbst zu entlasten – personifiziert in der Figur Aiwanger, der sich tatsächlich nicht entblödete, Judenhass auf Geflüchtete zu externalisieren. Die Rechten verstärken sogar die israelische Gefährdungslage, wenn sie fordern, Islamist_innen in die Nachbarländer Israels abzuschieben. Statt einer Anbiederung an solch konservative Positionen, wie sie manche ehemalige Linke schon einmal in den 00er Jahren vollzogen haben, sollten wir Bündnisse mit Teilen der kurdischen und iranischen Linken suchen sowie mit all jenen, die vor Islamist_innen geflohen sind. Hier gibt es ein Verständnis dafür, wieso der Terror der Hamas als verlängertem Arm des Irans eine Bedrohung für jegliche emanzipatorische Bestrebungen ist. Ebenjener Iran, welcher weiterhin ein wichtiger Handelspartner des offiziell ach so israelsolidarischen Deutschlands ist.

In diese Sinne wünschen wir uns eine Linke, die …

  • Herrschaft bekämpft, aber nicht jede Untat vermeintlich oder tatsächlich Unterdrückter glorifiziert
  • Staatskritik übt, aber nicht islamistisch-apokalyptischen Ausnahmezustand mit revolutionärer Randale verwechselt
  • Befreiung anstrebt, aber nicht Befreiungsnationalismus als Mittel zur Überwindung des Kapitalismus abfeiert
  • Antisemitismus nicht nur auf der Rechten verortet, sondern unreflektierten Antizionismus und perfiden Judenhass auch im eigenen Umfeld erkennt
  • Menschlichkeit bewahrt, auch wenn die real existierende Menschheit dazu wenig Anlass gibt
  • sich weder weder von der Macht der Anderen, noch von der eigenen Ohnmacht dumm machen lässt.


Eine solche kosmopolitisch orientierte Linke wäre im Kampf gegen den global heraufziehenden Faschismus dringend nötig.

5. Was können wir tun?

Sicher ist es ratsam, im täglichen Newsbusiness, in den sozialen Medien und auf Demos immer wieder mit Fakten, Fakten, Fakten aufzuklären: gegen verhetzende FakeNews („Kindermörder Israel“) und gegen die tagesaktuelle Delegitimierung des jüdischen Staates. Auf Dauer nachhaltiger wäre es aber, die beschriebene, grundsätzlich solidarische Haltung zu dem Doppelcharakter der israelischen Staatlichkeit zu popularisieren. Und damit auch den Fokus wegzurücken von einer andauernden militärstrategischen Diskussion über Kriegshandlung X oder Y im Mittleren Osten – hin zu einer Kritik des Antizionismus in Deutschland. Eine schwierige Aufgabe. Hier haben sich die versprengten klugen Kräfte in der Linken im letzten Jahrzehnt viel zu sehr in die Defensive drängen lassen. Jetzt brauchen wir aber wieder die altbekannte Kritik im Handgemenge, die jenseits von Dogmen Aufklärung ermöglichen kann.

Wir möchten in diesem Sinne dazu aufrufen, sich zu vernetzen, zusammentun, wenigstens punktuell in die Offensive zu kommen. Da die entsprechenden Kräfte derzeit schwach sind, sollten wir uns auch Guerilla-Taktiken bedienen: konfrontativ sein, um Aufsehen zu erregen. Etablierte Medien für unsere Zwecke nutzen. Kleine Nadelstiche setzen, die Erkenntnis befördern können. Seien es aufklärerische Agitation bei SocialMedia, eigene Kundgebungen, Parolen im öffentlichen Raum, oder gezielte, kritische Provokationen der Palästina-Demos. Aber auch in Diskussion gehen, Fakten liefern und Hintergründe erklären, wo Menschen nicht komplett verblendet sind. Solidaritätsaktionen für die Geiseln im Gaza-Streifen, Kundgebungen vor Synagogen (wo gewünscht) und kreative Angriffe auf Antisemit_innen aller Couleur sind weitere Handlungsoptionen.

Auf dass wir eines Tages mit unseren Genoss_innen „auf dem Wasser des Toten Meers liegen und nichts tun“ können! Bis dahin wird leider noch viel Wasser den Jordan herunter fließen müssen.

gruppe 8. mai [neukölln]

achtermai.blackblogs.org
gruppe8.mai@systemli.org

Fußnoten:
1 https://www.elfriedejelinek.com/israel-hamas/
2 https://www.nd-aktuell.de/artikel/1177365.reinhard-schramm-mache-mir-grosse-sorgen-um-die-sicherheit-des-juedischen-lebens.html
3 https://twitter.com/amirtibon/status/1721764689053467110
4 https://noodnik.at/2023/11/12/wenn-es-ein-judisches-sicherheitsgefuhl-gab-dann-ist-es-nun-verschwunden/
5 https://www.juedische-allgemeine.de/unsere-woche/amcha-krieg-gegen-israel-fuehrt-zu-neuer-traumatisierung/
6 https://taz.de/Versuchter-Anschlag-auf-Synagoge/!5963814/
7 https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/polls-show-majority-gazans-were-against-breaking-ceasefire-hamas-and-hezbollah
8 https://www.newsweek.com/im-palestinian-west-bank-hamas-alone-responsible-any-bloodshed-gaza-opinion-1835360
9 https://medium.com/amor-mundi/an-open-letter-to-my-friends-who-signed-philosophy-for-palestine-0440ebd665d8
10 https://taz.de/Debatte-um-Berliner-Sonnenallee/!5965454/