Rede bei der Kundgebung „Gegen Antisemitismus und Islamismus“ 07.01.2024 Berlin

Vielen Dank für die Einladung. Ich wurde gebeten, etwas zur Solidarität mit Israel zu sagen. Voraus schicken will ich, dass ich aus einer nicht-jüdischen, communistischen Perspektive spreche.

Ja: Warum Israel?
Ich glaube, 3 Dimensionen sind wichtig für eine linksradikale Israel-Solidarität:
1: die empathisch-historische Dimension
2: die staatskritische Dimension
3: die nicht-identitäre und bedingungslose Dimension

Kommen wir zuerst zur empathisch-historischen Perspektive. Während bis zum Zweiten Weltkrieg die zionistische Idee keine Mehrheit unter Jüdinnen_Juden finden konnte, änderte sich dies mit dem deutschen Verbrechen. Warum war das so?

Zum Einen gab es einen antisemitischen Vernichtungswahn, der von einer ganzen Volksgemeinschaft getragen wurde. Dieses Vernichtungsprojekt wurde äußerst vehement und mit extrem vielen Ressourcen angegangen. Hätten die Deutschen dieses Vorhaben zu Ende führen können, würden heute weltweit keine Jüdinnen_Juden mehr leben. So betrachtet sind alle heute lebenden Jüdinnen_Juden Shoah-Überlebende.

Zum Anderen wurden die Jüdinnen_Juden auch von der westlich-demokratischen Welt weitgehend allein gelassen. Es gab keine besonders große Bemühungen, gezielt den Vernichtungsbetrieb zu stoppen. Und viele Jüdinnen_Juden scheiterten bei ihren Fluchtversuchen an der z. T. antisemitisch inspirierten Flüchtlingsabwehr der meisten Staaten. Aus meiner Sicht ist es daher wichtig zu versuchen, sich empathisch in diese jüdische Perspektive und Erfahrung einzudenken. Das Leid nachzuvollziehen, das aus Verfolgung, Verstoßung, Vernichtung und Schutzlosigkeit resultierte, und das sich teilweise bis heute tradiert.

Die Voraussetzungen, dass sich eine solche Situation heutzutage wiederholt, sind ja leider nicht aus der Welt: der Kapitalismus wurde bekanntermaßen nicht abgeschafft. Antisemitismus existiert ebenfalls fort, wenn auch in anderen Formen. Es besteht daher die Notwendigkeit einer organisierten jüdischen Selbstverteidigung, um eine Wiederholung des Massenmordes zu verhindern. Israel ist dieses Projekt, was sich gegen den erneuten Versuch einer Auslöschung stellt.

Was bedeutet nun die staatskritische Dimension hinsichtlich der Israel-Solidarität? Das heißt: Israel ist eben auch ein stinknormaler Staat. Und Staaten sind nun einmal Apparate von autoritärer Machtausübung, von Unterwerfung und von Gewalt. In einer Welt aus Staaten konnte der Zionismus logischerweise nur in staatlicher Form realisiert werden – mit all den damit leider auch verbundenen Konsequenzen: herrschaftliche Verfasstheit, nationale Mythen, Ausschluss der „Anderen“ durch Grenzziehung, Aufstellung von Polizei und Armee zur bewaffneten Sicherung des Territoriums etc. So gesehen zeichnet sich Israel durch einen Doppelcharakter aus: einerseits gewöhnlicher, herrschaftsförmig organisierter Staat. Andererseits Ort der politischen Emanzipation der Juden_Jüdinnen und Instrument ihrer bewaffneten Selbstverteidigung.

Kommen wir zur dritten Dimension der Israel-Solidarität: nicht-identitär und bedingungslos. Klingt vielleicht martialisch. Es geht aber nicht um Nibelungentreue und Fahnenappell, im Gegenteil. Nicht-identitär bedeutet hier: Juden_Jüdinnen sind nicht die per se besseren Menschen, die IDF ist keine „coole“ Antifa-Sportgruppe, und Israel ist nicht das neue Heimatland für vaterlandslose Gesellen. Es geht bei einer solchen Solidarität auch nicht um leckeren Hummus oder um das queere Nachtleben in Tel Aviv. Ob Israel nun die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ ist und Minderheiten vorbildlich geschützt werden – oder ob es von einer rechten Regierung geführt wird, und auch dort der liberal-westliche Konsens erodiert: Antisemit_innen interessiert nicht das tatsächliche Verhalten der Juden. Das hat der 7.10. wieder drastisch gezeigt, wo mit den Kibbuzim und dem Supernova-Festival gerade der friedliebende Teil Israels attackiert wurde. Die andauernde Betonung hiesiger Linker, man distanziere sich von der rechten Regierung oder von der Besatzung, ist daher in einem solchen Kontext deplatziert. Es ist so gesehen egal, ob Netanyahu oder sonstwer das Land regiert. Seinen Status als Schutzraum vor Antisemitismus behält der Staat unabhängig von der jeweiligen Regierung. Und ebenjenem Schutzraum sollte linke Solidarität gelten. In diesem Sinne ist unsere Solidarität bedingungslos – sie stellt keine Bedingungen an das Verhalten der Israelis. Und sie erstreckt sich angesichts der mörderischen Drohung des Judenhasses auch auf die Notwendigkeit der militärischen Verteidigung.

Was bedeutet diese Haltung – empathisch und historisch, staatskritisch, nicht-identitär und bedingungslos – nun in der aktuellen Kriegslage? Es ist aus meiner Sicht unsinnig und unlogisch, zu leugnen, dass auch Israel Gewalt ausübt. Die Gewalt des Krieges muss nicht beschönigt werden. Das palästinensische Leid ist natürlich tatsächlich vorhanden. Es ist massiv und furchtbar. Juden_Jüdinnen philosemitisch zu überhöhen, als ob sie keine Verbrechen begehen könnten, ist falsch. Genau das wäre ja auch ein Doppelstandard, eine Idealisierung von Juden_Jüdinnen. Die von der IDF ausgeübte Gewalt darf aber auch nicht dämonisiert werden: es ist ebenso ein Doppelstandard, wenn das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza als Folge einer besonders grausamen israelischen Kriegsführung dargestellt wird. Das Vorgehen der IDF muss immer in Relation zur Gewalt anderer Staaten gesetzt werden. Jeder bürgerliche Staat würde nach einem solch brutalen Massaker, nach einem solchen Angriff auf den Kern seines Selbstverständnis ähnlich vorgehen – oder sogar weit härter als die IDF.

Und die Gewalt der IDF muss immer auf die besondere Situation Israels rückbezogen werden: Israel ist der einzig jüdische Staat weltweit. Israel ist so groß wie Hessen. Israel hat ein Promille der Weltbevölkerung. Israel ist umgeben von mehr oder weniger feindseligen Nachbarstaaten, zudem kritisch beäugt von der Weltöffentlichkeit. Und Israel ist darüber hinaus auch ein Staat, dessen Gründungsprozess und damit verbunden die Ziehung seiner Außengrenzen immer noch nicht abgeschlossen ist. Dieser permanente, zu großen Teilen von außen erzwungene Ausnahmezustand führt eben immer wieder zu Gewalt.

Eine Position der Äquidistanz zwischen Israel und seinen Feind_innen, wie sie etwa die Interventionistische Linke vertritt, macht daher keinen Sinn. Es ist ein weiterer Doppelstandard, dass Israel immer dann, wenn es auf einen Angriff reagiert, massenhaft kritisiert wird und ein Waffenstillstand gefordert wird. Solche Kritik zur Unzeit signalisiert letzten Endes: die Israelis sollten sich brav in ihr Schicksal fügen und sich opfern, wie es traditionell von Juden verlangt wird.

Die Solidarität mit Israel schließt die Kritik am Islamismus ein, wie es ja auch im Titel der heutigen Kundgebung heißt. Neben dem Islamismus sollten wir aber die Ablehnung Israels und die fehlende Empathie in der deutschen Mehrheitsgesellschaft stärker fokussieren. Der angeblich pro-israelischen Staatsräson steht nämlich sehr wenig tatsächliche Unterstützung für Israel entgegen. Ob im Alltag, auf der Straße, in den Betrieben und Nachbarschaften: spontane Solidarisierung war nach dem 7.10. Mangelware. Es ist genau dieses dröhnende Schweigen und das mehr oder weniger offene Bejahen des Israelhasses, das die links-islamistische Querfront so wirkmächtig macht. Die Palästina-Demonstrierenden sind deutschlandweit gesehen relativ wenige, es sind ja keine Riesendemos. Sie werden bestärkt, weil sie auf „klammheimliche Zustimmung“ Vieler hoffen können. Jenseits polizeilicher Repression erfahren sie sie kaum Widerstand aus der Mitte der Gesellschaft.

Wir müssen uns aber auch gegen eine rechte Pseudo-Solidarität mit Israel stellen, der es nur um eine weitere Gelegenheit für rassistische Hetze geht. Gegen solche reaktionären Trottel sollten wir auf eine kosmopolitisch orientierte Linke setzen, die auch Bündnisse mit iranischen und kurdischen Linken schließt.

Wir sind leider wenige, wir haben kaum gesellschaftlichen Einfluss. Lasst uns trotzdem die Kritik des Antisemitismus und Antizionismus in Deutschland so laut und offensiv wie möglich vortragen. Das ist unser wichtigster Beitrag, um Israel den Rücken freizuhalten. Denn würde Israel untergehen, wäre das nicht nur eine humanitäre Tragödie für Juden_Jüdinnen. Es würde auch bedeuten, dass die Menschheit erneut in der Barbarei versinkt.

Lange Rede, kurzer Sinn:
was wir wollen ist nicht viel – Solidarität mit Israel!