Protest als Mitmachen –

Der affirmative Charakter der G8-Mobilisierung

Überarbeitete Fassung eines Referats der gruppe 8. mai,
gehalten in der Roten Flora [HH] am 09.04.2007

[Text als pdf-File incl. Fußnoten: Protest als Mitmachen.pdf]

Vor einigen Tagen kam ich mit einem ganz normalen Menschen, Marc, 32 Jahre, von Beruf Stadtplaner, ins Gespräch. Marc beschwerte sich über die gewaltbereiten, intoleranten Linken, die in Form des ASTA lieber 1000e von Euro für „irgendwelche Plaketten an KZs“ ausgäben als seine Stadtplanerkongresse zu unterstützen. Als selbsternannter Experte in Wirtschaftsfragen verteidigte er zwar das in der Natur des Konkurrenztier Menschen liegende Profitstreben des Mittelstandes, störte sich aber an der „Perversion“ des Shareholder-Values mit seinen überzogenen Gewinnerwartungen. Die gesamte Negativentwicklung der letzten Jahre erschien ihm als Folge einer „Globalisierung“, die eine zuvor unbekannte Internationalisierung der Märkte bewirkt habe und damit ein „Austricksen“ der Staaten ermögliche. Seine Hoffnungen ruhten auf dem Modell China, das er ob des dortigen Wirtschaftswachstums als äußerst gelungene Mischung aus Kapitalismus und Kommunismus interpretierte – trotz meiner schüchternen Hinweise auf die dortigen neo-feudalen Bedingungen, denen Millionen von rechtlosen Wanderarbeiter_innen ausgesetzt sind.

Stadtplaner Marc steht nicht allein mit seinen Aversionen: In den letzten Jahren hat sich der Begriff der Globalisierung zunehmend als Deutungsmuster sozialer Wirklichkeit und als Entreebillet in den Diskurs über gesellschaftliche Großentwürfe etabliert. Während Angela Merkel „die Globalisierung politisch und menschlich gestalten“ will, befindet die SPD: „In ihren gegenwärtigen Strukturen sind die deregulierten globalen Finanzmärkte für die Instabilitäten und Finanzkrisen des letzten Jahrzehnts verantwortlich.“ Die Linkspartei sekundiert: „Die neoliberale Globalisierung treibt den Gegensatz zwischen arm und reich auf der Welt in immer obszönere Dimensionen“. Das kollektive Geraune kulminiert in der Feststellung der NPD, bei der ‚Globalisierung’ handele es sich „gleichermaßen um ein politisches Entmündigungs- wie wirtschaftliches Ausbeutungsprogramm für die Völker.“

Was verpflichtet nun trotz ihrer Differenzen all diese vereinzelten Einzelnen zum Rekurs auf die ‚Globalisierung’, bildet quasi das durchschnittlich falsche Bewusstsein? Es ist zum Einen der Glaube, die Verkehrsformen der gegenwärtigen Gesellschaft – der Staat, das Kapital, die Lohnarbeit, die Nation – seien Naturerscheinungen. So natürlich, dass sie im Regelfall gar keiner besonderen Rechtfertigung mehr bedürfen. Der Ist-Zustand wird als War- und Soll-Zustand mystifiziert. Und dennoch sind die isolierten Subjekte keineswegs zufrieden, gar glücklich: weder mit ihrem eigenen Leben noch mit dem Gesamtzustand der Welt. Kein Wunder, sind sie doch der ständigen Drohung ausgesetzt, als Überflüssige aussortiert, auf den Müllhaufen der Gesellschaft geworfen zu werden, eine Drohung, die sie zu andauernder Produktivität anhalten soll. Da ihnen die Konkurrenz jedoch als Naturnotwendigkeit entgegentritt, als integraler Bestandteil des menschlichen Wesens, entlädt sich ihr Unbehagen, ihre Angst, ihr Neid, wie auch ihre Enttäuschung über nicht eingelöste Versprechen von Wohlstand und Glück nur an spezifischen Elementen des Ganzen. Einige Widersprüche werden aus dem Gesamtzusammenhang gelöst und gegen diesen in Anschlag gebracht. Darum verteufelt Stadtplaner Marc einerseits kurzfristiges, übertriebenes Gewinnstreben mit Margen im zweistelligen Prozentbereich – und feiert andererseits die ungebremste, profitorientierte Vernutzung des chinesischen Proletariats ab.

In westlichen Ländern wird in diesem ideologischen Spiegelspiel der Widersprüche oft die Freiheit der Individuen (= kapitalen Subjekte) der repressiven Gleichheit entgegengesetzt, also der Markt gegen den Staat in Anschlag gebracht. In Deutschland existiert ein solcher Liberalismus reinen Wassers, der ebenfalls herrschaftsförmige Verwertung begründet, kaum. Statt (scheinbarer) individueller Spielräume sieht man hier die soziale Sicherheit, die Stabilität der Gesellschaft bedroht. Das sensible Gleichgewicht der Kräfte sei aus den Fugen geraten, verantwortlich sind je nachdem zunehmender Egoismus, überbordender Materialismus, Korruption, Mitnahmedenken, Entsolidarisierung oder Arbeitsscheu. Personifiziert wird der konstatierte Werteverlust denn in Sozialschmarotzer_innen, Aktionär_innen, Banker_innen, unfähigen Politiker_innen oder gleich „Heuschrecken, die alles kahl fressen“ (Jürgen Elsässer). Die scheinbar Mächtigen unter den so ausfindig gemachten Subjekten werden vor allem einer transnationalen Elite zugerechnet. Diese Elite wird zwar auch in der eigenen Gesellschaft, vor allem jedoch im Ausland lokalisiert, und hier entgegen ihrer angeblichen Transnationalität paradoxerweise wiederum in einer bestimmten Nation, den USA, von wo aus sie den ‚Globalisierungsprozess’ steuern soll.

Die ‚Globalisierung’ zeichnet sich also v.a. durch vier Merkmale aus: a) sie ist neuartig , b) sie wird als Wirken einiger Weniger vorgestellt, c) sie ist zu sehr profitfixiert, und d) sie bedroht die eigene Gemeinschaft/Kultur/Nation, ist also international und fremd. Im begriffslosen Begriff der Globalisierung akkumuliert sich ein Unbehagen in der Kultur, das nicht lediglich oberflächlich und reformistisch daherkommt, sondern sich tendenziell zu einer verdinglichenden, fremden-feindlichen und zumindest latent antisemitischen Verschwörungstheorie formiert . Folgerichtig appellieren auch alle Rezepte zur Überwindung der Globalisierungsmisere, ob sie sich nun links oder rechts dünken, an den Nationalstaat, welcher dringend der Stärkung bedürfe.

Und hier kommen die G8 ins Spiel: Während Angela Merkel sich positiv auf die Gipfel bezieht, da sie dort die Möglichkeit politischer, also deutscher, Einflussnahme erblickt, sehen andere die G8 negativ als Teil der oder gar als heimliche Zentrale der Globalisierung. Die Gipfel werden von ihnen als Zusammenkunft der „Führer der Welt“ (Interventionistische Linke), als „Club der Mächtigen“ (Linkspartei), als „Bonzentreffen“ (Anti-G8-Bündnis) oder „Gipfel der Bonzen“ (NPD) begriffen. Die Demo gegen die Tagung des G7-Finanzminister-treffen im Februar stand sogar unter dem Motto „Das Geld zu Gast in Essen“ – als ob im Ruhrgebiet sonst nur Naturalientausch auf dem Viehmarkt stattfände.

Um es noch mal zu pointieren: Der Kapitalismus reproduziert zwar beständig und in hohem Maße direkte Herrschaft und bringt extreme Ungleichheiten zwischen und innerhalb den jeweiligen Nationen hervor – Hungertod hier, volle Mägen, Bulimie und Fettsucht dort –, ist jedoch wesentlich ein apersonales Herrschaftsverhältnis, dem sich alle Subjekte weltweit zu unterwerfen haben. Die Reproduktion gesellschaftlicher Herrschaft vollzieht sich durch die Subjekte hindurch – tauschen müssen alle, ein objektive Zwang, der jedoch vom Bewusstsein nicht nachvollzogen, sondern verkehrt und verdrängt wird. So geben die Subjekte sich dem Irrglauben hin, wenige Einzelpersonen seien für alle Übel verantwortlich. Diese Alltagsreligion praktizieren sie, indem sie den Teufel der Verschwendungssucht, Arroganz und Gemeinschaftsvergessenheit bei den Reichen und Mächtigen, in unserem Falle den G8, exorzieren wollen (nebenbei gesagt kein Wunder, dass bei einer solch strukturell religiösen Weltanschauung in vielen G8-Bündnissen christliche Pfaffen mitwerkeln, anstatt auf’s Maul zu bekommen).

Was auf den ersten Blick zuweilen wie ein Relikt der 1980er Jahre anmutet –
die Gipfelproteste –, wäre also eher den 1780er Jahren angemessen gewesen. Denn damals war es, wie in Frankreich, noch revolutionär, die Feudalherren zum Teufel zu jagen und den König einen Kopf kürzer zu machen. Eine solche KopfAb-Poltik im doppelten Sinne ist heute, angesichts einer nach Klassen, Nationen und Geschlechtern segregierten Totalität, nicht allein anachronistisch. Nein, das weit über die Linke hinaus populäre Ticket gegen die G8, so human es sich auch dünken mag, ist strukturell autoritär, da neidisch den Blick nach ‚Oben’ richtend, und inhaltlich reaktionär, da anti-materialistisch und pro-nationalistisch. Darum geht auch das Gerede von ‚verkürzter Kapitalismuskritik’, von der sich mittlerweile sogar einige Fraktionen aus der Gipfelmobilisierung zumindest rhetorisch distanzieren, fehl: Eine Ablehnung der G8, des IWF oder der WTO bei gleichzeitiger Affirmation der Gesamtscheiße ist kein erster, positiver Anknüpfungspunkt communistischer Kritik, sondern eine Variante, sich unter Ausblendung eigener Involvierung ideologisch in den Verhältnissen einzurichten, die zudem noch im Vorzeichen der Diffamierung des potentiell bewahrenswerten cosmopolitischen Scheins des Kapitalismus bei gleichzeitiger Verklärung nationaler und kultureller Trennungen steht. Mit anderen Worten: Das moralisierende Wehklagen über die falsche, kurzsichtige und wirtschaftsorientierte Politik der G8 leistet der Identifizierung der Subjekte mit der Herrschaft, einer idealisierten Politik vorausschauender, weiser und gerechter Staatenlenker_innen, Vorschub. Die angebliche ‚Verkürzung’ bedarf somit keiner Streckung oder Dehnung, sondern der Bekämpfung als gefährlichem Fetisch.

Deutlich zu Tage treten diese fetischartigen Charakteristika nicht nur im Alltagsbewusstsein der Durchschnittsdeutschen, sondern auch bei sämtlichen Hauptevents der laufenden Mobilisierung, egal ob Alternativgipfel oder Großdemo. Dort betreiben Konstellationen aus Gewerkschaften, Parteien, NGOs und Kirchen mit der Suche nach „anderen Antworten“ und dem Gefasel von „globalen sozialen Rechten“ alternative Politikberatung. Deren Rechtsfimmel etwa kommt einem dauerndem Betteln nach einem wohlmeinenden staatlichen Souverän gleich, da nun mal kein Recht ohne entsprechenden Garant bestehen kann. Zu allem Übel wird die zentrale Demo in Rostock auch noch mit sogenannten Promi-Aufrufenden, darunter Christian Ströbele, Susan George (ATTAC), Peter Sodann, Walden Bello und Oskar Lafontaine, beworben. Ströbele rechtfertigte als angeblicher Kriegsgegner 1991 die Raketenangriffe Saddam Husseins auf Israel nach dem Motto „Die Juden sind selbst schuld“, während er in den letzten Jahren mehrfach Auslandseinsätzen der Bundeswehr zustimmte und für den Kongo-Einsatz gar forderte, das Mandat müsse „so gefasst sein, dass fast alles möglich ist. […] Für ein rein symbolisches Bundeswehrmandat, das den Menschen keine Sicherheit bringt“, sei er nicht zu haben. Susan George schreibt in ihrem Buch „Demokratie statt Dracula“: „Ja zum Handel, ja zu Regeln – allerdings nicht zu denen der jetzigen WTO”, da diese Regeln jene der transnationalen Unternehmen seien und „in sich enorme Gefahren für die Bürger und die Demokratie“ bergen. Peter Sodann, Tatort-Kommissar des sogenannten Mitteldeutschen Rundfunks, spricht von der „Schacherdemokratie”, welche aufgrund von Überkommerzialisierung “die Seele zerstören” würde. Ehrenamtlich fungiert er als Gründer einer „Volksbewegung gegen den Spraydosenvandalismus”, denn Graffiti ist Sodann zufolge Ausdruck des „gewöhnlichen Faschismus“. Walden Bello sieht „Nationalismus und den Islam als Treibstoff des Widerstandes“, dessen „dringende Aufgabe […] darin besteht, die USA in Irak und Israel in Palästina zu besiegen“. Über Oskar Lafontaines Folter- und Fremdarbeiterfantasien sowie seine Vorreiterrolle bei der Abschaffung des Asylrechts wurden bereits der Worte genug verloren, so dass ein eher unbekanntes Oskar-Zitat genügen mag: „Unsere Sprache soll wieder deutscher werden. Warum hören wir im Radio fast nur englische Lieder? Das Managergequatsche vom ‚Shareholder-Value’ und ‚Global Player’ geht auf die Nerven. Manch einer, der sich zur Elite zählt, braucht Deutschunterricht.“

All der zitierte Militarismus und Antisemitismus, der Demokratieidealismus und Linksnationalismus bewirkt nicht, wie zu erwarten wäre, ein kollektives Veto der radikalen Linken. Ganz im Gegenteil: der zugehörige Aufruf nach Rostock wurde auch noch von AVANTI, der Interventionistischen Linken, Kein Mensch Ist Illegal und den Jungdemokrat_innen gezeichnet. Die zumindest nach außen vollkommene Demonstration von Peace, Unity und Geschlossenheit verschluckt so nicht nur die nach innen gerichtete Kritik an der Bewegung, sondern auch die nötige Abgrenzung gegen die Gesellschaft des Kapitals und besonders deren deutschen Ableger. Statt mit bestimmter Negation dem realitätsvergessenen und affirmativen Hype entgegenzutreten, macht die radikale Linke also, was sie leider zu oft tut: mitmachen um des Mitmachens willen. Seit Monaten werden sämtliche Events, von der Sylvesterdemo über den EU-Gipfel bis zum Kompostkloworkshop, auf die G8 ausgerichtet. Alle wollen dabei sein. Auch die linksradikale G8-Mobilisierung hat eine Dynamik entwickelt, die schon längst Selbstreflektion im Keim erstickt. Während die Einen tatsächlich glauben, in Heiligendamm das Herz der Bestie zu attackieren, andere ihre Mobilisierung mit dem strategischen Verweis auf die Medienaufmerksamkeit rationalisieren, und Einzelpersonen oft konzedieren, sie führen nach Heiligendamm, um „nichts zu verpassen“, kommen die schlechtesten Begründungen ausgerechnet von denen, die es besser wissen müssten: dem ums ganze-Bündnis. Deren recht kluge, wenn auch zu grobschlächtige Wertkritik steht vor dem Paradoxon, kein einziges Argument bieten zu können, wieso ausgerechnet die G8 „gerockt“ (Freie Kameradschaften) werden sollen. Weder reflektiert sich der Kapitalismus primär in den G8-Gipfeln noch kann die mit dem autoritären Konzept des Resonanzbodens umschriebene Hoffnung, Inhalte über den Aufhänger G8 vermitteln zu können, nur durch Eigenbeteiligung eingelöst werden .

Angesichts eines bewegungsintern wie gesamtgesellschaftlich hegemonialen Bewusstseins, das mantraartig den Dreiklang Globalisierung, Konzernmacht, transnationale Finanzmärkte herunterbetet, wo von Lohnarbeit, Mehrwert und Nation die Rede sein müsste, sprechen wir uns entschieden gegen eine Beteiligung an den G8-Protesten aus. Gerade, aber nicht nur im national befreiten Mecklenburg-Vorpommern, ist es offenkundig, dass die absolute Mehrheit der Deutschen die gesellschaftlichen Widersprüche in der Hetze gegen Migrant_innen, Jüd_innen, die USA und andere Volksfeind_innen externalisiert. Solange hierzulande keine Bewegung in Sicht ist, die ernsthaft den Kapitalismus aufzuheben gewillt ist – und die Gipfelmobilisierungen werden keine solche Bewegung bilden, da sie schon rein formal, als Proteste, im demokratischen Rahmen verharren – gilt es für uns, den Opfern des deutschen Wahnes solidarisch zur Seite zu stehen, weltweit Bewegungen gegen den Kapitalterror jenseits von unmittelbarer Personalisierung und Sozialpartnerschaft – z. B. die Textilarbeiter_innen in Bangladesh, die ihre Arbeitsstätten plündern und demolieren – zu unterstützen sowie die Kritik an Politik und Kapital als zwei Seiten derselben Medaille zu schärfen. Priorität scheint uns dabei die Fokussierung der Schnittstellen von Individuum und Gesellschaft zu haben: Einerseits gälte es, die von Bewegungen wie der Heiligendamm-Mobilisierung affirmierten Fetische zu ersetzen durch ein Bewusstsein über die alltägliche Verstrickung der Subjekte in die gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse. Andererseits wäre die aus diesem erzwungenen Mitmachen resultierenden Verhärtungen und Deformierungen der Einzelnen, die Internalisierung der Herrschaft auf psychischer und physischer Ebene, aufzubrechen, denn solange die ‚Beherrschten’ genau nach dem Bild der ‚Herrschenden’ geformt sind, macht es keinen Sinn, einen Prozess revolutionärer Militanz einzuleiten.


gruppe 8. mai [ffm/brln/ny] –
antifetischistische aktion

grupppe8mai@gmx.net
http://achtermai.blogsport.de

Radio-Mitschnitt der Veranstaltung „Game the Player …!?“ zur G8-Mobilisierung

Die Veranstaltung zur G8-Mobilisierung in der Roten Flora wurde von FSK Hamburg live übertragen und ist nun online bei freie-radios.net anhör- und downloadbar. Nach einer kurzen Einleitung von sous la plage folgen die Beiträge von No G8-Gruppe Kiel, dissent! HH sowie dem umsganze-Bündnis. Das Referat der gruppe 8. mai befindet sich am Ende des dritten und am Beginn des vierten Parts. Im Anschluss Diskussion.

Part 1
Part 2
Part 3
Part 4
Part 5
Part 6

1 Teltschik gegen 80 Millionen Studierende?

Über Kapitalismus, Opernball und Schrauben

Im Mai 2006 startete in Frankfurt eine Studierendenbewegung, die sich stark von ihren Vorgängern unterschied: kein lucky strike, wenige bunt-kreative Aktionen, kaum personalisierende Attacken auf Banken, Börsen, Bonzen. Stattdessen ziviler Ungehorsam in breitem Maße, Autobahnblockaden und Bahnhofsbesetzungen. Betrachtet man diese Aktionsformen, könnte man von einer Verweigerung des konstruktiven Dialogs und von einem generellen Angriff auf die soziale und ökonomische Infrastruktur ausgehen. Das ist überraschend. Ebenso wie der lange Atem der Bewegung. Doch das gern gezeichnete Bild der erfreulich kompromisslosen Studierenden trübt sich bei genauer Hinsicht: An keiner Stelle wurde von ihnen der eigene Betrieb, der Wissenschaftsbetrieb, irritiert oder gar unterbrochen. Der einzige ernsthafte Versuch, die Blockade des Turms der Frankfurter Gesellschaftswissenschaften, wurde nach 10 Tagen von einem fanatischen Studi-Mob niedergestimmt, dem die produzierte Panik ebenso wie der Wille, jede Lüge zu vertreten und im Notfall auch zuzuschlagen, solange Lüge und Schlag vermeintlich im Dienste des eigenen Fortkommens stehen, überdeutlich ins Gesicht geschrieben stand. Und bei einer Besetzung des Wissenschaftsministeriums in Wiesbaden wurde nicht etwa dessen Abschaffung gefordert, sondern die Einführung einer Vermögenssteuer – die Staatsfans von attac lassen grüßen. Auch auf den Demos dominierten, abgesehen von einigen erfrischenden Redebeiträgen und Sprechchören, idealistische Forderungen an die Politik sowie die neosozialdemokratischen Flugblätter des linksreformistischen Spektrums. Die in der Praxis punktuell an den Tag gelegte Radikalität fand also keine inhaltliche Entsprechung. Und so wurde etwa während der WM entgegen der volksgemeinschaftlichen Direktive von der nationalen Gastfreundschaft und gegen den Willen der Polizei zwar die Innenstadt geentert, zugleich aber die Tore der deutschen Mannschaft im Protestcafe der früheren Vernichtungsschaltzentrale IG Farben-Gebäude von einem widerwärtig bunten Studikonglomerat bejubelt.
Die radikale Linke konnte der ideologischen Beliebigkeit, der Sozialromantik, der Affirmation des universitären Alltags in der Bewegung wenig entgegensetzen – nun setzt sie sich mit an die Spitze der Reaktion. Statt den allseitigen Glauben, der Kapitalismus sei eine Verschwörung der Reichen und Mächtigen gegen das ‚einfache Volk’, als gefährlichen Fetisch zu negieren, treibt sie diesen Irrglauben noch voran, indem sie mit sogar drei Aufrufen gegen jene Veranstaltung mobilisiert, die in der Region von Äppelwoi und Handkäs Reichtum und Macht symbolisiert: den Frankfurter Opernball. Besonders aufmüpfig gibt sich ein Papier, das viele Gruppen aus dem beschaulichen Hanau unterzeichnet haben, aber auch die Frankfurter ‚Schurken ohne Staaten’, eine schlagende Burschenschaft mit dem für Burschenschaften typischen ideologischen Kernstück des Antisemitismus. Im erwähnten Papier wird mutig gewettert gegen die „gelackten Profiteure“, „gegen das große Fressen der Elite“ und die „spalte und herrsche“- Strategie der „Oberen“. Unter den „Oberen“ macht der Aufruf einen Ober-Fiesling aus. Er heißt Horst Teltschik. Horst war langjähriger Berater Helmut Kohl, hat ein Faible für Diktaturen und tätigt gerne Rüstungsgeschäfte, was ihn für die Leitung der Nato-Sicherheitskonferenz zu München qualifizierte. Fürwahr ein übler Schurke (ohne Staat, denn er trieb laut Aufruf auch Privatisierungen voran!).

Doch, so fragen wir uns, was ist an Lack schlecht und was gegen ausschweifende kulinarische Vergnügen einzuwenden? Wichtiger aber noch: welches Verständnis von Gesellschaft, von Herrschaft steht hinter solchen Aufrufen und den entsprechenden Aktionsformen? Kann es wirklich sein, dass, wie in diesem Aufruf suggeriert, eine Elite, also grob geschätzt 1% der Gesellschaft, gestützt auf einen gewalttätigen Repressionsapparat – nochmals 1% der Gesellschaft – ein ganzes Volk von 98% niederhält? (Und, wieso machen die Sicherheitskräfte, die ja vom großen Fressen nichts als den Bratenduft bzw. einige Spritzer von der Hackfleischsauce abbekommen, dabei eigentlich mit?). Ohne dass diesem Volk etwas von diesen üblen Machenschaften gewahr wird? Oder, so beschleichen uns erste Zweifel, weiß dieses Volk, wissen die Menschen da draußen gar um Krieg, Ausbeutung, Leistungswahn, Rassismus? Haben sie etwa gar nichts dagegen? Erfreuen sie sich am Ende noch an all den Sauereien? Denn: Was ist mit den geschätzt 2.000 anderen Teltschiks der Republik neben ihrem Namensvetter Horst, etwa mit Horsts Frau oder Horsts Cousin, oder mit Andreas Teltschik, google zufolge beschäftigt mit der Motoransteuerung für bürstenlose Niederspannungsmotoren, und Robert Teltschik, google zufolge Architekt als in Waldenbuch (vermutlich ein noch kleineres Dorf als Hanau) tätig? Versteckt Andreas in seiner Freizeit Illegalisierte vor der Polizei, und betätigt sich Robert beim ladyfest oder in einer autonomen Gewerkschaft? Mag sein. Wir möchten aber, und sehen uns da durchaus durch statistische Erkenntnisse bestätigt, nahe legen, dass Robert und Andreas ebenso wie Horst, dessen Frau mitsamt Cousin und die 1.996 anderen Teltschiks der Republik die WM mit einem kühlen Bierchen und einem Fähnchen in der Hand in der PublicViewing-Area genossen haben, gar nicht allzu viel gegen Abschiebungen (hallo, liebes Bündnis gegen Abschiebungen!) einzuwenden haben und tagein tagaus nörgelnd und voller Missgunst gegen Chef wie Kollegen, aber doch prinzipiell einverstanden zur Arbeit sich schleppen.

Und das ist nicht mal verwunderlich, denn, surprise surprise, der Kapitalismus ist nicht mehr der Feudalismus, denn sonst hieße er Feudalismus und nicht Kapitalismus, wie er ja heißt. Im Kapitalismus gibt es zwar durchaus wie im Feudalismus Machtkonzentration, direkte Herrschaft z. B. in der Familie, der Schule oder auf der Straße, und ungleiche Reichtumsverteilung in extremen Maßstab – während die Einen hungern, schlemmen die Anderen. Klassen im modernen Sinne hat der Kapitalismus sogar erst hervorgebracht. Wesentlich gekennzeichnet ist er jedoch durch ein Diktat der Verwertung, dass kein einzelner Teltschik in die Welt gesetzt hat oder wieder aus ihr setzen, aussetzen, kann. Es gibt also keine individuelle Verantwortung des Teltschiks für die Kriege, den Arbeitszwang, den rassistischen (und antisemitischen!) Terror. Die Oberen sind eine Fiktion. Zwar eignen ihnen qua Position im Gesellschaftsgefüge bestimmte institutionelle Ressourcen, doch ihre scheinbar grenzenlose Macht bewegt sich nur in dem engen Rahmen, den ihnen die Sachzwänge des Kapitalismus vorgeben. Die Teltschiks führen Kriege nicht allein aus bösem Willen, weil ihnen gerade eben die Lust danach steht oder sie Rache für den Tod ihres geliebten Kaninchens nehmen wollen – wie jede Verkäuferin und jede Studentin tun sie auf ihrer Position eben das, was ihnen der Standort/das Vaterland abverlangt. In Wahrheit haben sie nicht einmal die Macht, sich bei chronischer Überarbeitung einfach mal 3 Monate nach Goa abzusetzen, denn sofort sähen sie sich nach einem medialen Aufschrei durch andere, effizientere PolitkoordinatorInnen ersetzt. Das Imago der uneingeschränkt durchregierenden, Faden um Faden ziehenden Oberen ist also nur das Negativ der Ohnmacht der Einzelnen, der kleinen Teltschiks, die sich eine ominöse Allmacht der ‚Bonzen’ fantasieren.

Und es gibt doch eine individuelle Verantwortung, ein individuelles Zutun! Denn, wie gesagt, jedeR einzelne TeltschikIn bastelt mit am großen game. Die Eine stellt die Schrauben her, die Zweite fährt sie nach München. Die Dritte setzt sie dort mit anderen Schrauben, Metall und dem von Andreas Teltschik ersonnenen Niederspannungsmotor in der von Architekt Robert Teltschik geplanten Halle zu einem Tornado zusammen, der dann auf der Konferenz des großen Teltschiks angepriesen wird. Ebenso wie alle Teltschiks – und auch die Menschen mit abweichendem Nachnamen – in einem arbeitsteiligen Prozess die destruktive Produktion der Waren bewerkstelligen, ebenso vollziehen sie diese objektive Seite subjektiv nach: indem sie die Behinderten verspotten, die nicht so behände schrauben können, indem sie die Ausländer hassen, die mit dreckigen Händen schrauben (und sie dann mit diesen dreckigen Händen vergewaltigen bzw. ihnen die Frauen wegnehmen wollen), die Politiker, die nur über eifrigeres Schrauben reden anstatt selbst zu schrauben, die Juden, weil sie wegen ihres gerafften Reichtums gar nicht schrauben müssen – oder die Kinder beneiden, weil sie noch nicht (aber bald schon) schrauben müssen und die Alten milde belächeln, weil sie nicht mehr schrauben können, denn sie haben lange genug/zu lange geschraubt.

Wenn die Menschen weltweit vom falschen Zwang, schrauben (oder studieren) zu müssen, und von der falschen Trennung zwischen denen, die schrauben (Proletariat genannt), denen, die sie anleiten (Politiker/Kapitalisten genannt), und denen, die darüber nachdenken (Intellektuelle/Studierende genannt), frei werden sollen, genügt selbstverständlich der bauchgeleitete Protest gegen Studiengebühren nicht. Er hätte höchstens ein minikleiner Schritt sein können. Doch die Hatz auf den Opernball, also auf jene, die die Schraubenden anleiten oder sie entertainen sollen (und dennoch keineswegs ihr Leben genießen, wie man etwa an Kurt Cobain oder Berti Vogts sehen kann), führt wieder in die ganz falsche Richtung, die Richtung des falschen Ganzen. Nicht jene, die scheinbar selbst von Zwang befreit sind und nur Zwang gegen andere ausüben, sitzen an der Wurzel allen Übels. Die Wurzel des Übels sitzt in den Subjekten, in den Mitstudierenden, in der Professorin, und, vor allem: in der Struktur der Gesellschaft, die alles unter dem Maß der Verwertbarkeit misst. Da wir weder uns selbst verprügeln noch Menschen vom Essen abhalten möchten – und heißen sie auch Teltschik – gilt es weiter, diese alles durchziehende Struktur in der abstrakten Form anzugreifen, in der sie auftritt: als Herrschaft der Dinge über die Menschen. Also als Zwang der Schraube, schnell geschraubt zu werden, als Zwang des Zuges, pünktlich den Bahnhof zu verlassen, und als Zwang der Universität, stumm zu funktionieren, unbesehen der als Privatsache verhöhnten Interessen der Schraubenden, Zugfahrenden oder Studierenden. In einem Angriff, der dieser Faktizität gerecht wird, anstatt sie bloß in einem Aufruf zu beschreiben, um dann das Gegenteil des Beschriebenen zu performen. Darum werden wir am 24. 02. lieber einen Tag der Ruhe zelebrieren, als vergeblich jenen Ober-Teltschik und seine Mit-Helmuts in der Oper anzuschreien und sie durch solche AnRufung noch in ihrer Pseudo-Funktion als sozial beglaubigte Machthaber zu bestätigen.

gruppe 8. mai [ffm]

mail_gruppe8mai@gmx.net
page_http://achtermai.blogsport.de

Auseinandersetzung mit der Linkspartei in Frankfurt

    Am Freitag, den 19.01.07, fanden sich in Frankfurt 20-25 Genoss_innen, um der dortigen Eröffnung des hochschulpolitischen Kongresses der Linkspartei etwas entgegenzusetzen. Einen längeren Artikel zum Ablauf und zu den Motiven des Protests findet ihr auf indymedia. Wir haben die Gelegenheit genutzt, um ein etwas älteres Flugblatt der gruppe 8. mai, minimalst verändert, erneut unter den linken Schäfchen zu streuen.

Die Linkspartei kegelt für Deutschland!

Flugblatt, erstmals verteilt bei einer Wahlkampfveranstaltung der Linkspartei mit Oskar Lafontaine, Wolfgang Gehrcke und weiteren am 01.09.2005

Wie alle Anderen …
Eine Partei ist eine Partei ist eine Partei ist ein Ausschuss zur Aufrechterhaltung und Verbesserung des organisatorischen Ablaufs der bestehenden Gesellschaft. Die bestehende Gesellschaft ist der in konkurrierenden Nationalstaaten organisierte Kapitalismus. Wer sich in Form einer Partei zusammenfindet, zeigt sich also in aller Regel schon a priori mit der Misere, der Dürftigkeit, in der wir täglich leben, grundsätzlich einverstanden, hat maximal noch an einigen Details etwas auszusetzen. So auch die Linkspartei, die ihren Konformismus kongenial in den Parolen „Arbeit soll das Land regieren“, „Arbeit für alle“ oder dem aktuellen Wahlplakat „Ein-Euro-Jobs nein – Lohnarbeit ja!“ bezeugt. Die Lohnarbeit, jene Institution, die jeden Tag weltweit Milliarden von Menschen langweilt, ausbeutet, physisch und psychisch abnutzt und mit frühmorgendlichem Weckerklingeln terrorisiert, diese zentrale Kategorie der Herrschaft des Kapitals, soll keineswegs abgeschafft, aufgehoben oder zumindest eingeschränkt werden – nein, alles soll so bleiben wie es ist, lediglich die Bezahlung darf nicht unter eine willkürlich als menschenwürdig bestimmte Grenze fallen – zumindest für Deutsche. Dabei stellt die Linkspartei schon jetzt in der Debatte um den Mindestlohn ihren Regierungsfähigkeit demonstrierenden Willen unter Beweis, je nach Kapitalbedarf und Staatsräson Kompromisse von einer Art einzugehen, die sie, wie bei den Koalitionen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern bereits geglückt, gänzlich ununterscheidbar von der angeblichen „Allparteienkoalition des Neoliberalismus“ machen. Nein, radikale Einschnitte, ein Umsturz oder wenigsten ein klein bisschen Chaos ist von der Linkspartei, entgegen der aus dem konservativen Lager zu vernehmenden Hetze, leider nicht zu erwarten. Selbst die Parteijugend stellte ihre Kampagne für Drogenlegalisierung zwecks Erhalt der Wahlchancen unter dem Signum des politischen Verstandes ein, als sich das erste Anzeichen öffentlichen Protests regte.

Mehr schlecht als recht(s)!?

Bei der Feststellung, zu den 28 realexistierenden Parteien habe sich nun eine irrelevante 29. gesellt, könnte es belassen werden, würde sich die Forderung nach Arbeitsplätzen für alle nicht in eine ganz spezielle Ideologie eingliedern, die wir die trinitarische Formel des Alten Europa nennen möchten: die allseitige Anerkennung der Produktivität gilt als Grundbedingung der sozialen Gerechtigkeit, und auf jener Gerechtigkeit beruht der Frieden, der in der Welt einkehren solle. Darin verbirgt sich ein Ideal von Gemeinschaft, welches real existierende Widersprüche nicht austragen, sondern mittels der Verfütterung einiger finanzieller Brosamen und harmonistischer Versöhnungsrhetorik die vorhandenen Antagonismen verschleiert. Wer sich scheinbar nicht in das ästhetisierte Kollektiv eingliedert, sich wie derzeit etwa diverse große Unternehmen den Vorwurf der Steuerflucht und Arbeitsplatzvernichtung einhandelt, wird als „Schmarotzer“ gebrandmarkt.
Diese offenbar Gemeinschaftsfremden erregen öffentliches Ärgernis, weil sie in ihrem angeblich zügellosen, egoistischen Bereicherungsdrang die sensibel austarierte soziale Gerechtigkeit missachteten, und könnten ob ihrer Macht nur noch von einem starken Staat gezügelt werden. Da der Staat als die per definitionem gewalttätigste Institution im Lande zwar nicht für seine Bürgerinnen da ist, aber doch auf ihnen aufbaut und ihnen einiges – bis hin zu ihrem Leben – abverlangt, appelliert er gerne an die nationale Identität, um soziale Konflikte in den Griff zu bekommen. So auch die Linkspartei im Allgemeinen und Oskar Lafontaine im Besonderen, dem die steuerflüchtenden Reichen nicht etwa bloß als Unsympathen, sondern gleich als „Vaterlandsverräter“ gelten.

Rüstung gegen USA und Israel.

Doch damit der nationale Haushalt nicht aus der Balance gerät, muss die Zahl der ausländischen stets über derjenigen der inländischen Volksfeinde liegen. Diese Rechnung leuchtet auch der Linkspartei ein, und so ruft sie heute, am 01.09., zum Kampf gegen Kriegstreiber auf, und allen ist klar, welche Feinde des Friedens gemeint sind. Weiß sich doch spätestens seit dem letzten Irak-Krieg die Nation geeint gegen die USA, die dem antiamerikanischen Wahn nicht nur die „Herrschaft des Geldes statt des Volkes“, sondern auch das „ungeschminkte Verlangen nach Weltherrschaft“ [Lafontaine] symbolisieren, weshalb der heute auftretende Rapper Mellow Mark schon mal in völkischer Manier gegen die Verbreitung „US-amerikanischen Erbgens“ wettert. Als friedlich im linksparteilichen Sinne hingegen gilt der von Lafontaine anvisierte Ausbau der EU-Armee, seine Pläne zur Forcierung eines Kerneuropas und die von Lothar Bisky protegierte Einrichtung eines historisch orientierten „Zentrums gegen Vertreibung“. Voll auf Linie liegt darum die Agitation gegen die heutigen „Vertreibungen“ durch Israel, wie sie von Lafontaine („Jürgen Möllemann ist kein Antisemit“) und Wolfgang Gehrcke vorangetrieben wird, und vor zwei Jahren die PDS sogar zu der Überlegung führte, ob nicht trotz aller pazifistischer Rigidität ein UN-Einsatz unter deutsche Beteiligung in Israel wünschenswert sei. Die Delegierung der Schuld am Antisemitismus an die Juden durch Norman Paech, dem Spitzenkandidaten in Hamburg, oder die performative Verausländerung der „jüdischen Mitbürger“, die „wir“ nicht „mögen müssen“, durch Lafontaine rundet das Gruppenbild ab – deutsch-europäische Einigkeit gegen US-Arroganz, israelische Brutalität und polnisches Klempnerwesen. Die so alternativ daherkommende Vision der Genossinnen entpuppt sich als lediglich sozial aufgemotzte Variante eines bierseligen, denk-verweigernden, auf Ausschluss von Jüdinnen, Migrantinnen und anderen „Fremden“ basierenden Kollektivs. Bei der Linkspartei ist also nicht das Ticket in eine bessere Welt zu lösen, vielmehr nimmt sie als Passagier zweiter Klasse teil an der katastrophalen Reise nach Nirgendwo und wäre als Part dieses Zuges zum Entgleisen zu bringen.

Wählt den Communismus!

gruppe 8. mai [ffm]
gruppe8mai@gmx.net
http://achtermai.blogsport.de

Who the fuck is Heiligendamm? –

Oder: Warum uns der G8-Gipfel scheißegal ist.

Liebe Leserin,
reingefallen. Vielleicht. Auf eine spektakuläre Überschrift. Denn scheißegal ist zu dick aufgetragen: ist an besagtem Gipfeltreffen doch etwa abzulesen, wie Herrschaft inszeniert, Kritiker_innen integriert und sogenannte Chaot_innen interniert werden. Eventuell auch, welche Themen in den kommenden Jahren die globale Agenda bestimmen oder welche Widersprüche sich zwischen den Großmächten auftun werden. Im Folgenden soll es aber weniger um die G8 als vielmehr um unsere Gründe gehen, die Mobilisierung nach Heiligendamm explizit abzulehnen.

Die Antiglobalisierungsbewegung ist in Verruf geraten. Antiamerikanismus, gar Antisemitismus wird ihr attestiert. “Verkürzte Kapitalismuskritik” übe die Multitude. Doch im Rahmen der Heiligendamm-Mobilisierung tritt unter Abgrenzung zu attac und Palästina-Solidarität eine Strömung an, welche die Verkürzung strecken will. Jugendantifa Frankfurt und Linke SchülerInnen Aktion Mainz, redical [m], antifa [f] u.a. haben große Teile der Debatten der letzten Jahre internalisiert und geben sich als betont wertkritische Actionäre. Postwendend stellt sich jedoch die Frage: wenn, wie behauptet, Kapital = total, wieso dann G8-Protest? – eine Frage, die bisher von Obenstehenden nicht annähernd beantwortet wurde. Abgesehen von logischen Paradoxien – gerade wegen der Totalität wähle man sich die G8 aus (mit exakt derselben Begründung könnte man Anschläge auf jeden x-beliebigen Laden für Rasierbedarf und jedwede Gemeinderatssitzung verüben) – wurde bisher nur das frei Haus gelieferte Medieninteresse genannt. Darum ist weiter zu fragen: Seit wann sind die Massenmedien Bündnispartner_innen der radikalen Linken? Ist nicht die Dramaturgie solcher Events schon im Vorhinein festgelegt – einerseits die scheinbaren Damen/Herren der Welt, andererseits die je nach Medium jugendlich-überschwänglichen (TAZ) oder skrupellos-brutalen (FAZ) Protestierenden und, zwischen beiden Polen vermittelnd, die konstruktiv-pragmatische Zivilgesellschaft? Bedient man mit der angepeilten Randale nicht schlicht die vorgestanzten Erwartungen der Kulturindustrie, die nun mal aufgrund der ihr inhärenten Skandalmechanismen Bilder von steinewerfenden Vermummten ausgedehnten Hintergrundberichten aus dem antinationalen Alltag inkl. ellenlanger Marx-Zitationen vorzieht?

Schließlich, wenn das Kapital total ist, ein Verhältnis, das sich durch sämtliche Lebensbereiche aller Menschen zieht, und nicht nur die Menschen durchzieht, sondern sie erst (mit-)hervorbringt, wieso sollte man sich dann dafür entscheiden, seinen Protest gegen diesen tatsächlich unglaublichen Mißstand nur auf einen winzigen Punkt zu konzentrieren, auf einen unbedeutenden Ort an einem Tag von Tausenden voller Gewalt und Erniedrigung? Monatelang Energie investieren, Tagungen, Vernetzungstreffen, WarmUp-Demos organisieren, dann die langerwartete Reise nach Heiligendamm antreten – nicht zu vergessen: durch etliche Landstriche mit NS-Hegemonie – , nur um wenige Tage später und um einige Lagerfeuergeschichten reicher wieder an seinen Wohnort zurückzukehren, wo sich nichts geändert hat – nichts, aber auch gar nichts, wo man exakt das selbe graue Leben zu bewältigen hat wie zuvor. Verpflichtet weiter dort zu vegetieren, wo keine Befreiungstheologin, keine Linksrucksprecherin, kein Herbert Grönemeyer und kein BlackBloc Solidarität übt, wenn man wieder schlechten Sex hatte, keine oder zuwenig zärtliche Zuwendung erfährt, frühmorgens wegen Schul- bzw. Arbeitsterror von klingelnden Wecker terrorisiert wird oder die Eltern schon wieder mit Sozialpädagogik bzw. Ausgehverbot nerven. Solange der herrschaftlich vorstrukturierte Alltag sich wie eine gusseiserne Form um die Subjekte legt und die Wenigen, die sich ihres communistischen Begehrens bewußt sind, erbarmungslos einschnürt, solange es an 364 Tagen im Jahr ein unerträglich ruhiges Hinterland mit Namen Bundesrepublik/Europa gibt, solange ist es nicht nur Unsinn, sondern im höchsten Maße konterrevolutionär, sich eine Bewegung einzubilden, die derzeit nicht nur den „G8-Gipfel wegpusten“ (NoG8-Gruppe Kiel), sondern sogar den „Kapitalismus blockieren“ (Kollektiv 22. Oktober) könnte.

Nicht aus Ohnmacht heraus sich dumm zu machen und eine solche Allmacht wie die eben genannte zu phantasieren, sondern das Eingeständnis dieser Ohnmacht zu leisten wäre Aufgabe der radikalen Linken. Der Erkenntnis der Niederlagen, die sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte ziehen und in unserer Zeit des ‚Fortschritts’ fortschreiten hin zu global angelegtem, ausnahmslosem und grenzenlosem Massenmord – Auschwitz – müsste sich stellen, wer auf der „Höhe der Zeit“ (floskel floskel …) agieren möchte. Nur wenn das Protokoll dessen, was fehl schlug, und dessen, was verloren ging, aufgenommen wird, kann sich eine Bewegung entwickeln, welche nicht zur Wiederholung der immergleichen alten Scheiße verdammt ist, welche nicht vom gleißenden Licht der 360Grad-Showbühne des Kapitalismus sich blenden lässt.

Wer in Heiligendamm die players fightet, spielt aber – ob gewollt oder nicht – das game schon mit. Darum ist jede Beteiligung an den G8-Protesten, ob von verkürzter oder verlängerter Kritik begleitet, von vorneherein integratives Element des Spektakels. Die paar tausend deutschen Autonomen nehmen sich denn auch bereitwillig und voller Eifer der ihnen zugedachten Statistenrolle im Schauspiel „Die Herren der Welt gegen ihre Feinde“ an: Statt eines spontanen, selbstorganisierten Aufstandes aus Wut über die eigene, andauernd erlebte Zurichtung wird schon Monate zuvor von den linken Szeneheimer_innen ein „Protest-Fahrplan“, auch „Choreografie“ genannt, festgelegt: an die Stelle möglicher eigener, unvorhersehbarer Erfahrungen wird so paramilitärische und politikorientierte Durchrationalisierung gesetzt. Schon formal wird somit die individuelle Emanzipation ans Messer geliefert, und auch inhaltlich werden die Aktionstage nicht mehr erreichen als die in Deutschland populäre Gleichung ‚Kapitalismus = die Reichen, die da oben, die Internationalisten’ erneut zu bestätigen. Spätestens dann wird sich diese Wahrheit erweisen, wenn nicht nur der dem Gipfel folgende Arbeitstag in altbekanntem ungestörtem Trott abläuft, sondern sogar die anschließenden Visiten der Bundeskanzlerin, also der hiesigen Repräsentanz des `Volkswillens`, der Verkörperung nationaler Herrschaft, in Hintertupfingen oder Frankfurt vonstatten gehen können, ohne dass sich auch nur eine Dreadlock- oder Kapuzi-Trägerin dagegen in Protest setzt.

Eine communistische Bewegung unterscheidet sich von der Heiligendammer Revolutionssimulation: sie kann nur aus der Austragung und Zuspitzung real existierender Widersprüche heraus entstehen. In diesem Sinne waren die Autobahnblockaden und WM-Demos der Studierenden ein Anknüpfungspunkt für eine radikale Linke, da hier gesellschaftlich Handelnde – wenn auch bewusstlos bzw. von sozialreformerischer bis alternativnationalistischer Ideologie geleitet – über den ihnen zugestanden Spielraum hinausgingen und offensiv sich gegen die ihren Bedürfnissen entgegenstehenden Verwertungsinteressen wandten. Gerade in Deutschland, wo das Wort Generalstreik den Klang eines Fremdwortes aufweist – und Fremdwörter sind nach Adorno die Juden der Sprache – sind solche Erscheinungen begrenzter Massenmilitanz, die nicht an die Formierung eines Lynchmobs gemahnen, absolute Ausnahme. Statt mittels auf wenige Straßenblöcke beschränkter riots eine kurzfristige Revolte nachzustellen wäre an solchen Punkten von abstrakter, nicht personalisierter Empörung anzusetzen, denn nur wer nicht unmittelbar Menschen angreift, kann Einsicht in die Herrschaft der Dinge über die Menschen gewinnen. Nur von dort aus kann ein Communismus ins Rollen kommen, der – gerade weil sein Blick nicht pseudo-rebellisch und voll heimlicher Faszination an `denen da oben` klebt – kein autoritärer Ruf nach Staat oder Volk oder Macht ist, der sich stattdessen die gänzliche Umwälzung aller Facetten des derzeitigen Lebens zur Aufgabe macht. Eine Umwälzung, die im eigenen Alltag ansetzt, die in jede Lebensphase ein unbändiges Glücksversprechen einsickern lässt, dessen Realisierung nur jenseits von Geschlechterbinarität, Zwangsfamilie, Schulpflicht, Lohnarbeit, Lokalpatriotismus und nationaler Identifizierung liegen kann.

Für Glück ohne Angst und Macht –
für eine Welt jenseits des Gesetzes.

_____________________________________gruppe 8. mai [ffm]
_____________________________________mail: gruppe8mai[AT]gmx.net
_____________________________________http://achtermai.blogsport.de

[Obenstehender Text wurde als Flugblatt auf dem derzeit laufenden Kongress der Antifajugend Frankfurt verteilt, der sich schwerpunktmäßig mit der (Un-)Möglichkeit einer linksradikalen Mobilisierung gegen die G8 befassen soll]

Darum.

Keine neue Heimat, aber einen besseren Service, eine breitere Palette von Optionen und eine diskursrelevante Nachbarschaft – all das haben wir mit unserem Umzug zu blogsport.de gewonnen. Sämtliche alten Flugschriften der gruppe 8. mai [ffm] sind jedoch nach wie vor unter unserer bisherigen Adresse myblog.de/gruppe8.mai nachzulesen und werden früher oder später auf unseren neuen Blog übertragen.